Rz. 35

Im Rahmen eines Verkehrsunfalls ist für die konkrete Haftung des Unfallgegners dem Grunde nach der Strengbeweis gemäß § 286 ZPO zur richterlichen Überzeugung mit den von der ZPO ausdrücklich vorgesehenen sechs Beweismitteln zu erbringen.

Diese sind:

Augenscheinseinnahme (§§ 371 ff. ZPO)
Zeugen (§§ 373 ff. ZPO)
Sachverständigengutachten (§§ 402 ff. ZPO)
Urkunden (§§ 415 ff. ZPO)
Parteivernehmung des Gegners (§§ 445 ff. ZPO)
eigene Parteivernehmung (§ 448 ZPO).
 

Rz. 36

 

Beachte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EUGH-MR) hat sich in Ergänzung der Parteivernehmung nach § 448 ZPO aufgrund des Gesichtspunkts der Waffengleichheit für eine Parteivernehmung auch der beweisbelasteten Partei ausgesprochen (EUGH-MR NJW 1995, 1413).

 

Rz. 37

Gelingt es der beweisbelasteten Partei nicht, die haftungsbegründenden Tatsachen durch eines oder mehrere der vorgenannten Beweismittel zur Überzeugung des Gerichts zu beweisen, bleibt die Partei insoweit beweisfällig und die Klage ist – im Falle der Beweislast des Klägers – abzuweisen. Allerdings soll bei Verkehrsunfallsachen der Grundsatz gelten, dass die unfallbeteiligten Parteien grundsätzlich gem. § 141 ZPO von Amts wegen anzuhören sind; anderenfalls läge ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor (OLG Schleswig NZV 2009, 79; OLG München NZV 2012, 74; OLG München NJW-Spezial 2016, 43).

So sollen die Anforderungen des Strengbeweises gem. § 286 ZPO die Instanzgerichte nicht daran hindern, im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Angaben einer Partei auch dann zu glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (OLG Brandenburg NZV 2017, 141 hinsichtlich Angaben des Geschädigten zu einer unfallbedingt erlittenen Primärverletzung).

 

Rz. 38

Das Gericht muss dem von einer Partei rechtzeitig gestellten Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen nach Erstattung eines schriftlichen Gutachtens zu dessen mündlicher Erläuterung zu laden, auch dann stattgeben, wenn es die schriftliche Begutachtung aus seiner Sicht für ausreichend und überzeugend hält, es sei denn, der Antrag ist verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden (BGH, std. Rspr., z.B. BGH zfs 1997, 129; DAR 2001, 454; VersR 2007, 1697).

 

Rz. 39

Hat das erstinstanzliche Gericht die mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen nicht im Protokoll festgehalten, ist das Berufungsgericht schon deshalb zu einer erneuten Anhörung des Sachverständigen verpflichtet (BGH zfs 2002, 16).

 

Rz. 40

 

Beachte

Aber auch Privatgutachten, die eine Partei zur Untermauerung ihres Vortrags vorlegt, müssen vom Gericht beachtet werden. Ein Privatgutachten ist ein qualifizierter urkundlich belegter Parteivortrag, den das Gericht ernst nehmen muss (BGH, std. Rspr., z.B. BGH NJW 1992, 1459; DAR 2001, 76; VersR 2011, 1202). Insoweit können auch eingeholte Privatgutachten kostenmäßig zu übernehmen sein (BGH VersR 2003, 481).

 

Rz. 41

Das Beweismaß des § 286 ZPO gilt nicht nur für die Frage der Haftung dem Grunde nach, sondern auch im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität für den Eintritt einer sogenannten Primärverletzung im Bereich der Personenschäden. Entgegen bisheriger Annahme reicht es auch nicht aus, im Wege des Vollbeweises gem. § 286 ZPO lediglich eine einzige Primärverletzung zu beweisen, während der Eintritt weiterer Verletzungen dann dem erleichterten Beweismaß des § 287 ZPO zugänglich wäre. Sondern nach jüngster Klarstellung des BGH (v. 29.1.2019 – VI ZR 113/17 – VersR 2019, 694) unterliegen auch weitere unfallursächliche Primärverletzungen, die unabhängig von einer ersten Primärverletzung aus der zugrunde liegenden Verletzungshandlung geltend gemacht werden, dem Beweismaß des § 286 ZPO (haftungsbegründende Kausalität).

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