Rz. 21

Auch wenn ein Regelbeispiel nach § 158 Abs. 2 FamFG vorliegt, kann von der Bestellung eines Verfahrensbeistands im Einzelfall abgesehen werden (zur Begründungspflicht im Falle des Absehens von der Verfahrensbeistandsbestellung trotz Vorliegens eines Regelbeispiels nach § 158 Abs. 2 FamFG siehe Rdn 40).

 

Rz. 22

Ausdrücklich vorgesehen hat der Gesetzgeber in § 158 Abs. 5 FamFG die Möglichkeit – freilich nicht die Pflicht[51] –, die Bestellung eines Verfahrensbeistandes zu unterlassen oder aufzuheben, wenn die Kindesinteressen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten werden.[52] Zu denken ist hierbei etwa an eine bereits erfolgte Bestellung eines Ergänzungspflegers.[53] Hingegen reicht die Vertretung des Kindes durch einen von den Eltern beauftragten Anwalt nicht aus, wenn dieser mit der Weisung mandatiert wurde, die Interessen des Kindes in ihrem Sinne wahrzunehmen.[54]

 

Rz. 23

Auch bei in Rede stehenden Entscheidungen von geringer Tragweite, die keine erheblichen Auswirkungen auf die Rechtspositionen der Beteiligten und die künftige Lebensgestaltung des Kindes haben, oder wenn alle Beteiligten gleichgerichtete Interessen verfolgen oder die Kindesinteressen in anderer Form ausreichend zur Geltung gebracht werden, kann sich eine Verfahrensbeistandsbestellung erübrigen.[55] Gleiches kann gelten, wenn die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge bereits an äußeren Umständen scheitert, ohne dass es für die Sorgerechtsentscheidung – und damit auch für die Frage, welchem Elternteil diese zu übertragen ist – entscheidend auf die besonderen Neigungen und Bindungen des Kindes ankommt.[56] Ebenso ist die Sachlage, wenn das – meist ältere – Kind ersichtlich sein Interesse so klar formuliert, dass es hierfür keines "Sprachrohrs" mehr bedarf.[57] Ist das Kind derzeit unbekannten Aufenthalts, weil die Eltern es versteckt halten, so ist ein Verfahrensbeistand ebenfalls vor Ausfindigmachen des Kindes nicht notwendig.[58] Tritt in einem Eilverfahren ein Zielkonflikt zwischen dem Erfordernis besonderer Beschleunigung des Verfahrens einerseits und einer eigenständigen Interessenvertretung des Kindes andererseits auf, so kann im Eilverfahren von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes abgesehen werden, wenn ansonsten eine dem Kind nachteilige Verfahrensverzögerung zu befürchten ist und das Kind seinen Willen klar kundgetan hat.[59] Gleiches gilt, wenn der Erlass einer Eilentscheidung schon am fehlenden Regelungsbedürfnis scheitert, es mithin der Ermittlung des kindlichen Willens nicht bedarf.[60]

 

Rz. 24

Denkbar ist auch, dass das Kind im Rahmen der Begutachtung durch einen Sachverständigen ebenso wie im Rahmen der richterlichen Anhörung seine Wünsche unmissverständlich und unbeeinflusst zum Ausdruck bringt. Weitere Voraussetzung ist in diesem Fall aber, dass aufgrund der ermittelten Tatsachen nicht erwartet werden kann, dass ein Verfahrensbeistand zusätzlich entscheidungsrelevante Erkenntnisse beitragen könnte.

 

Rz. 25

In den Fällen der ertrotzten Kontinuität (vgl. hierzu § 1 Rdn 267) kann sich im Eilverfahren zwischen dem Erfordernis der besonderen Verfahrensbeschleunigung und der Interessenvertretung des Kindes ein Zielkonflikt ergeben. Wäre daher bei Bestellung eines Verfahrensbeistands eine Verfahrensverzögerung zu befürchten, so rechtfertigt es die besondere Eilbedürftigkeit in diesem Fall von der Bestellung eines Verfahrensbeistands abzusehen.[61] Anders ist die Sachlage freilich in Eilverfahren nach § 1666 BGB.[62]

[51] AG Nienburg FamRZ 2015, 1929.
[52] Dazu OLG Dresden FamRZ 2014, 1042; OLG Stuttgart, FamRZ 2014, 1482; vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 2016, 567 [ggf. Befangenheitsgrund].
[53] Kemper/Schreiber/Völker/Clausius, HK-FamFG, § 158 Rn 20.
[54] BT-Drucks 13/4899, S. 132.
[55] Kemper/Schreiber/Völker/Clausius, HK-FamFG, § 158 Rn 15.
[56] OLG Koblenz MDR 2016, 396; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 28.10.2010 – 6 UF 91/10 (n.v.).
[57] Vgl. BVerfGK 6, 57; OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1740; Beschl. v. 25.8.2014 – 6 UF 58/14 (n.v.); Beschl. v. 11.5.2011 – 9 UF 144/10 (n.v.); OLG Zweibrücken ZKJ 2011, 136.
[58] OLG Köln ZKJ 2013, 175.
[59] OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1740 zum Fall des eigenmächtigen Verbringens eines Kindes; vgl. auch KG FamRZ 2014, 1790; vgl. auch OLG Brandenburg FamRZ 2015, 1216.
[61] OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1741.
[62] VerfG Brandenburg FamRZ 2011, 305.

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