Rz. 127

Im Falle eines Betriebs(teil)übergangs nach § 613a BGB kommt ein Fortbestand der betrieblichen Regelung von vorherein nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer kollektivrechtlichen Fortgeltung der Betriebsvereinbarung vorliegen, weil die Fortgeltungsanordnung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nicht greift (hierzu oben Rdn 119). Dies hängt davon ab, ob die betriebsverfassungsrechtliche Identität des übertragenen Betriebs(teils) bestehen bleibt.[310] Wird der übertragene Betrieb(steil) in den Betrieb des Erwerbers derart eingegliedert, dass er in diesem aufgeht, gelten die Betriebsvereinbarungen des übertragenen Betriebs(teils) nicht kollektivrechtlich fort.[311] Eine Betriebsvereinbarung i.S.d. § 1 Abs. 1b S. 4 AÜG verliert in diesem Fall ihre Wirkung. Es kommt dann darauf an, ob in dem aufnehmenden Betrieb eine betriebliche Regelung nach § 1 Abs. 1b S. 4, 6 AÜG besteht. Unklar ist hingegen die Rechtslage, wenn der Erwerber den erworbenen Betrieb(steil) mit einem bereits bestehenden Betrieb(steil) organisatorisch zu einem neuen Betrieb zusammenfasst. Insoweit ist noch nicht abschließend geklärt, welche Folgen eine Zusammenlegung mehrerer Betriebe oder Betriebsteile auf die jeweils geltenden Betriebsvereinbarungen hat.[312] In derartigen Fällen sollte aus Gründen der Rechtssicherheit für den neu entstandenen Betrieb eine neue Betriebsvereinbarung geschlossen werden.

 

Rz. 128

Wahrt der übertragene Betrieb(steil) seine betriebsverfassungsrechtliche Identität, hängt die Fortgeltung der Betriebsvereinbarung von der Tarifbindung des Erwerbers ab. Ist auch der Erwerber nicht tarifgebunden, gilt die Betriebsvereinbarung fort, wenn der übertragene Betrieb(steil) weiterhin dem (insbesondere fachlichen) Geltungsbereich des nachgezeichneten Tarifvertrags unterfällt. Kommt es hingegen zu einem Tarifwechsel, liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1b S. 4 AÜG nicht mehr vor, weil dieser nur die Übernahme des einschlägigen Tarifvertrags zulässt.[313] Die Übernahme der tariflichen Regelungen verliert daher grundsätzlich ihre Wirkung. Eine Fortgeltung der Betriebsvereinbarung kommt bei einem Tarifwechsel ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Erwerber unter den Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags im Sinne des § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG fällt und dieser eine Öffnungsklausel enthält, der die geschlossene betriebliche Regelung weiterhin deckt (hierzu unten Rdn 130). Dies setzt allerdings voraus, dass die Betriebsparteien die Übernahme der tariflichen Regelung nicht daran knüpfen wollten, dass der Betrieb unter den Geltungsbereich des nachgezeichneten Tarifvertrags fällt.[314] Dies ist im Wege der Auslegung der Betriebsvereinbarung zu ermitteln. Scheidet hiernach eine Fortgeltung der Betriebsvereinbarung aus, bedarf es der Nachzeichnung des nunmehr einschlägigen Tarifvertrags (falls es einen solchen gibt).

 

Rz. 129

 

Praxishinweis

Der vorstehenden geschilderten Problematik der Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen bei einem Tarifwechsel lässt sich nicht dadurch vermeiden, dass in der Betriebsvereinbarung auf die jeweils einschlägigen tariflichen Regelungen Bezug genommen wird (sog. "Tarifwechselklausel"). Nach der Rechtsprechung sind derartige dynamische Bezugnahmeklauseln bzw. Blankettverweisungen auf Tarifverträge in Betriebsvereinbarungen unzulässig.[315]

 

Rz. 130

Ist der Erwerber demgegenüber tarifgebunden kann lediglich durch einen Tarifvertrag i.S.d. § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG von der Überlassungshöchstdauer abgewichen werden. Eine Nachzeichnung ist nur dann möglich, wenn keine Tarifbindung besteht (hierzu bereits oben Rdn 121). Eine bestehende betriebliche Regelung verliert somit trotz ihrer kollektivrechtlichen Fortgeltung grundsätzlich ihre Wirkung, sei es, weil die übernommene tarifliche Regelung nunmehr normativ gilt oder im Falle eines Tarifwechsels der nunmehr geltende Tarifvertrag keine oder eine abweichende Regelung zur Überlassungshöchstdauer enthält. Eine Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung kommt aber auch insoweit in Betracht, wenn im Falle eines Tarifwechsels der anwendbare Tarifvertrag eine Öffnungsklausel enthält, der die betriebliche Regelung weiterhin deckt und sich der betrieblichen Regelung im Wege der Auslegung entnehmen lässt, dass diese an den Geltungsbereich des ursprünglich nachgezeichneten Tarifvertrags geknüpft ist (hierzu oben Rdn 128).

 

Rz. 131

Die obigen Ausführungen zur Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen bei Betriebs(teil)übergängen gelten entsprechend, wenn Betriebe infolge unternehmensinterner Umstrukturierungen gespalten oder zusammengelegt werden.

[310] Vgl. hierzu Willemsen u.a./Hohenstatt, E Rn 2 ff.
[311] Vgl. HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn 255 m.w.N.
[312] Vgl. Fitting u.a., § 77 Rn 164 m.w.N.
[313] Schüren/Hamann/Hamann, § 1 Rn 370.
[314] Vgl. zur "Fortschreibung" von tariflichen Öffnungsklauseln auch GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 185 m.w.N.

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