Rz. 118

Die Fortgeltung eines Tarifvertrags im Sinne des § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG bei einem Betriebs(teil)übergang nach § 613a BGB richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen.[287] Hiernach gelten Verbandstarifverträge nach einem Betriebsinhaberwechsel unverändert kollektivrechtlich fort, wenn der Erwerber kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband (§ 3 Abs. 1 TVG) oder kraft Allgemeinverbindlichkeit (§ 5 TVG) tarifgebunden ist und der übertragene Betrieb(steil) auch nach dem Inhaberwechsel dem (insbesondere fachlichen) Geltungsbereich des Tarifvertrags unterfällt.[288] Firmentarifverträge gelten nach einem Betriebsinhaberwechsel grundsätzlich nicht kollektivrechtlich fort, es sei denn, der Erwerber vereinbart mit der zuständigen Gewerkschaft eine Vertragsübernahme oder schließt mit dieser einen neuen inhaltsgleichen Firmentarifvertrag ab.[289] Anderes gilt bei einer umwandlungsgesetzlichen Verschmelzung (§ 2 UmwG) und, wenn der Spaltungs- und Übernahmevertrag eine entsprechende Übertragung auf den aufnehmenden Rechtsträger vorsieht, bei einer umwandlungsgesetzlichen Spaltung (§ 123 UmwG). In diesen Fällen gilt auch ein Firmentarifvertrag kollektivrechtlich fort.

 

Rz. 119

Sofern nach den vorstehenden Grundsätzen ein Tarifvertrag im Sinne des § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG kollektivrechtlich fortgilt, ergeben sich für den Erwerber keine Besonderheiten. Die Abweichungsmöglichkeit von der Überlassungshöchstdauer bleibt bestehen. Scheidet hingegen eine kollektivrechtliche Fortgeltung aus, richtet sich die Fortgeltung des Tarifvertrags nach § 613a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB. Hiernach werden die durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags geregelten Rechte und Pflichten zum "Inhalt des Arbeitsverhältnisses". Die Fortgeltungsanordnung bezieht sich also nur auf Rechtsnormen, die Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis betreffen. Dies gilt zwar auch für Betriebsnormen. Diese gelten jedoch nur fort, wenn sie zugleich den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten.[290] Dies ist bei tariflichen Regelungen zum Einsatz von Leiharbeitnehmern nicht der Fall. Durch einen solchen Tarifvertrag werden nicht die Arbeitsbedingungen der vom Betriebs(teil)übergang erfassten Arbeitnehmer, sondern lediglich die Bedingungen für den Einsatz von Leiharbeitnehmern im übertragenen Betrieb(steil) geregelt.[291] Damit scheidet eine Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB aus. Besteht beim Erwerber keine eigenständige Regelung oder wird eine solche nicht neu geschaffen, gilt in diesen Fällen die gesetzliche Überlassungshöchstdauer.[292]

 

Rz. 120

 

Praxishinweis

Bei Betriebs(teil)übergängen sollte aus Erwerbersicht sorgfältig geprüft werden, ob ein beim Veräußerer angewandter Tarifvertrag im Sinne des § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG kollektivrechtlich beim Erwerber fortgilt. Ist dies nicht der Fall und besteht auch keine anderweitige tarifliche Regelung beim Erwerber, ist eine Regelung durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu erwägen (hierzu unten Rdn 121 ff., 133 ff.).

[287] Hierzu ausführlich Willemsen u.a./Hohenstatt, E Rn 111 ff.; Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2012, 1217.
[288] BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn 262.
[289] BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn 262.
[290] ErfK/Preis, § 613a BGB Rn 118; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 613a Rn 135; vgl. zur fehlenden Fortgeltung von betriebsverfassungsrechtlichen Normen i.S.d. §§ 1 Abs. 1 TVG, 3 BetrVG auch HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn 264.
[291] Die im übertragenen Betrieb(steil) eingesetzten Leiharbeitnehmer werden vom Betriebs(teil)übergang nicht erfasst; vgl. HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rn 225, auch zur Entscheidung des EuGH in der Rs. Albron Catering, EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, NZA 2010, 1225.
[292] Mehrens, in: FS Willemsen (2018), S. 315.

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