Rz. 110

Die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche können nach § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG eine von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festlegen. Dies ermöglicht eine Verlängerung und eine Verkürzung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer.[256] Auch wenn dies nicht ausdrücklich geregelt ist, sind mit der Öffnungsregelung erst recht auch tarifliche Abweichungen von der Anrechnungsregel des § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG möglich.[257] Die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht eingeschränkt. In den Gesetzesmaterialien ist lediglich klargestellt, dass bei einer Verlängerung der Überlassungshöchstdauer eine zeitlich bestimmte Obergrenze sichergestellt sein müsse, um den vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung zu gewährleisten.[258] Eine zeitlich unbeschränkte Überlassungsmöglichkeit wäre damit nicht zulässig. Eine darüberhinausgehende Beschränkung der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen und würde auch dem Anliegen widersprechen, möglichst flexible, auf die jeweilige Einsatzbranche zugeschnittene Regelungen zu treffen. Von daher ist den Tarifpartnern ein weiter Regelungsspielraum zuzugestehen.[259] Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen JH/KG und Daimler werden die Tarifvertragsparteien bei der Wahrnehmung ihrer Regelungsbefugnis jedoch das Ziel der Leiharbeitsrichtlinie zu beachten haben, den Missbrauch aufeinanderfolgender Überlassungen zu verhindern (vgl. oben Rdn 76 f.). Die Tariföffnungsklausel kann daher keine Tarifverträge ermöglichen, die diesem Ziel erkennbar zuwiderliefen.[260] Was dies konkret bedeutet, ist noch nicht abschließend geklärt. Für die Praxis erfreulich ist, dass zumindest die im TV LeiZ vorgesehene Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten von der Instanzrechtsprechung als zulässig angesehen worden ist.[261] In der Literatur wird teilweise in Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG[262] zur Grenze der Tarifdispositivität sachgrundloser Befristungsmöglichkeiten nach § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG eine absolute Grenze der (sachgrundlosen) Überlassungshöchstdauer bei 54 Monaten gezogen.[263] Eine derart absolute Grenzziehung überzeugt jedoch nicht. Zwar mag die Parallele zu § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG angemessen sein, wenn eine isolierte Verlängerung der Überlassungshöchstdauer erfolgt. Wenn die Verlängerung jedoch noch von weiteren Voraussetzungen (z.B. dem Vorliegen bestimmter Sachgründe) abhängig gemacht wird (hierzu unten Rdn 111), erscheint im Einzelfall auch eine längere Überlassungshöchstdauer ohne Verstoß gegen das unionsrechtliche Missbrauchsverbot nicht ausgeschlossen, wenn hierdurch der vorübergehende Charakter sichergestellt wird. Der EuGH hat in der Rechtssache Daimler bei einer 55-monatigen Überlassung aber durchaus grundsätzliche Zweifel erkennen lassen. Hier bleibt die weitere Entwicklung mithin abzuwarten.

 

Rz. 111

In der Praxis kommt der Verlängerung der Überlassungshöchstdauer eine größere Bedeutung zu als einer Verkürzung. Eine Verlängerung kann pauschal für alle im Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer erfolgen oder es kann eine nach bestimmten Einsatzzwecken und/oder -gebieten differenzierende Regelung getroffen werden. Letzteres ist insbesondere bei projektbezogenen Tätigkeiten zweckmäßig, bei denen der Personalbedarf einen Zeitraum von 18 Monaten übersteigt und ein Wechsel des überlassenen Mitarbeiters innerhalb des laufenden Projekts nicht zweckmäßig ist. Bei derartigen projektbezogenen Tätigkeiten erscheint auch eine deutliche Überschreitung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer möglich. Darüber hinaus kann die Verlängerung der Überlassungshöchstdauer, vergleichbar mit § 14 TzBfG, auch an das Vorliegen bestimmter Sachgründe (z.B. Elternzeitvertretung) gekoppelt werden.[264] Sofern eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer an Sachgründe gekoppelt ist, ist es nicht erforderlich, die Überlassung zusätzlich an eine zeitliche Obergrenze zu knüpfen.[265] Insoweit ergibt sich die "zeitliche Bestimmtheit" bereits aus dem Sachgrund selbst. Es wäre auch kein überzeugender Grund ersichtlich, den Tarifvertragsparteien eine derartige Gestaltungsmöglichkeit zu verwehren. Der Wille des Gesetzgebers, den vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung abzusichern, wird auch bei einer sachgrundbezogenen Verlängerung der Überlassungshöchstdauer erreicht. Auch unionsrechtlich erscheint dies unbedenklich. Der EuGH hat in der Rechtssache Daimler[266] klargestellt, dass die Leiharbeitsrichtlinie nicht dazu verpflichte, eine bestimmte Dauer vorzusehen, solange der vorübergehende Charakter der Überlassung

sichergestellt werde.

 

Rz. 112

Neben einer reinen Verlängerung der Überlassungshöchstdauer soll nach den Gesetzesmaterialien auch eine Verknüpfung mit Höchstquoten für den Einsatz von Leiharbeitnehmern im Betrieb und/oder mit Regelungen zur Übernahme von Leiharbeitnehmern möglich sein.[267] Darüber hinaus können auch die Beteiligungsrechte des Be...

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