Rz. 52

In einem durch Entscheidungsroutinen geprägten Behördenalltag kann es leicht passieren, dass die Vorgabe, wonach die Bewertungen der Anlage 4 nur für den Regelfall gelten, ohne Berücksichtigung bleibt. Hier hat die anwaltliche Beratung einzugreifen. Aufgabe des Rechtsanwalts ist es, eine bestehende Atypik herauszuarbeiten und im Verwaltungs(gerichts)verfahren geltend zu machen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist Nr. 3 der Vorbemerkung Anlage 4 zur FeV. Dort wird in Satz 2 davon gesprochen, dass bei Erkrankungen und Mängeln jeweils Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich sind; im Zweifel kann eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein.[19]

 

Rz. 53

Muster 47.4: Einwand der Atypik bei Anlage 4 FeV (Methadon)

 

Muster 47.4: Einwand der Atypik bei Anlage 4 FeV (Methadon)

Zu Unrecht stützt sich die Fahrerlaubnisbehörde darauf, dass nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung entfallen lässt. Diese Bewertung greift nicht ein, weil sie nach Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV nur für den Regelfall gilt.

Vorliegend scheidet ein Regelfall aber erkennbar aus, weil der Betäubungsmittelkonsum durch atypische Umstände geprägt ist. Der Konsum ist nämlich ärztlich verordnet und erfolgt im Rahmen einer seit über einem Jahr in jeder Hinsicht erfolgreichen Methadonbehandlung zur Substitution von Heroin. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einer gelungenen Substitutionsbehandlung mit Methadon im Einzelfall eine positive Beurteilung der Fahreignung in Betracht kommen kann (BayVGH, Beschl. v. 5.7.2012 – 11 CS 12.1321, Rn 18 f. und OVG Bremen, Beschl. v. 16.3.2005 – 1 S 58/05, Rn 5 ff. – juris).

Nach alledem hätte allenfalls die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach Maßgabe von Satz 2 der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zu FeV erfolgen dürfen (OVG Saarlouis, Beschl. v. 27.3.2006 – 1 W 12/06 = zfs 2006, 355), nicht aber die hier ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis, die aufzuheben ist.

[19] Vgl. Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV.

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