Rz. 1

Die Arbeitnehmer können selbst entscheiden, ob sie sich durch Betriebsräte vertreten lassen wollen. Schon ein einziger Arbeitnehmer kann – ggf. mithilfe einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft – die Durchführung der Wahl des Betriebsrats erreichen. Bei den Bestimmungen über die Betriebsratswahl, die sich im BetrVG und der (zuletzt im Jahr 2021 neu erlassenen) Wahlordnung zur Betriebsratswahl finden, handelt es sich um zwingendes Organisationsrecht, von dem – abgesehen von in §§ 3 und 4 BetrVG abschließend festgelegten Ausnahmefällen (Einzelheiten s.u. Rdn 45 ff.) – nicht abgewichen werden kann, auch nicht im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber. Dies gilt auch dann, wenn im Betrieb andere Vertretungsorgane mit bestimmten vereinbarten oder vom Arbeitgeber einseitig zugestandenen Mitbestimmungsrechten vorhanden sind.

 

Beispiel

Das Vorhandensein einer detailliert geregelten eigenständigen Arbeitnehmervertretung bei SAP oder bei der Firma Würth stand der Einsetzung eines Wahlvorstandes durch das ArbG gegen den Willen der meisten Belegschaftsangehörigen nicht entgegen.

 

Rz. 2

Der Arbeitgeber hat keine rechtlich einwandfreie Möglichkeit, die Wahlen zu verhindern. Versucht er dies – oder versucht er die Wahl zu beeinflussen –, dann macht er sich wegen Behinderung der Betriebsratstätigkeit strafbar (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG; allerdings liegt nicht in jeder kritischen Äußerung eine solche Wahlbehinderung oder auch nur -beeinflussung, vgl. BAG v. 25.10.2017 – 7 ABR 10/16 – für die Äußerung des Personalleiters, wer die Arbeitnehmerin S wähle, begehe Verrat: Anfechtbarkeit verneint). In dem im Jahr 2001 geänderten BetrVG wurden sämtliche Unterscheidungen nach Arbeitern und Angestellten ("Gruppen") aufgehoben, sodass es keine getrennten Gruppenwahlen und keine gesonderten Sitze für die Gruppen mehr gibt. Dafür hat der Gesetzgeber im Jahr 2001 für die Besetzung des Betriebsratsgremiums – nicht aber für Ausschüsse oder Freistellungen – einen Minderheitenschutz für die Geschlechter Frau/Mann eingeführt. Leider hat der Gesetzgeber bei den Änderungen im Wahlrecht im Jahr 2021 weder im BetrVG noch in der Wahlordnung irgendeine Berücksichtigung des sog. "3. Geschlechts" vorgesehen (dazu unten Rdn 91 ff.).

 

Rz. 3

Die erstmals für die Betriebsratswahl 2022 anzuwendenden wichtigsten Änderungen durch das "Betriebsrätemodernisierungsgesetz" (vom 14.6.2021, BGBl I, 1762, gültig ab 18.6.2021) und durch die Änderungen der Wahlordnung zum BetrVG (VO vom 8.10.2021, BGBl I, 2021, 4640, gültig ab 15.10.2021) sind folgende:

das aktive Wahlrecht – die Wahlberechtigung – steht den Mitarbeitern bereits ab Vollendung des 16. Lebensjahres zu (§ 7 S. 1 BetrVG); wählbar sind sie weiterhin erst ab 18,
die erforderliche Zahl an Stützunterschriften, die ein Wahlvorschlag benötigt, damit er zur Wahl zugelassen werden kann, ist für Betriebe bis i.d.R. 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern entfallen (§ 14 Abs. 4 S. 1 BetrVG),
in Betrieben mit 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern sind nur noch zwei Unterschriften für einen Wahlvorschlag nötig (§ 14 Abs. 4 S. 2 BetrVG),
das sog. vereinfachte Wahlverfahren mit zwingender Personenwahl, anderen Regeln und Fristen findet nunmehr zwingend in Betrieben bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern statt (§ 14a Abs. 1 S. 1 BetrVG; bisher 50); in Betrieben mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern können Wahlvorstand und Arbeitgeber das vereinfachte Wahlverfahren vereinbaren (§ 14a Abs. 5 BetrVG),
die Anfechtung durch die Wahlberechtigten ist ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, wenn nicht zuvor ordnungsgemäß Einspruch gegen die Wählerliste eingelegt worden ist; dies gilt allerdings nicht, wenn die anfechtenden Wahlberechtigten an der Einlegung des Einspruchs gehindert waren (§ 19 Abs. 3 S. 1, 2 BetrVG),
die Anfechtung durch den Arbeitgeber ist ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, wenn die Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht (§ 19 Abs. 3 S. 3 BetrVG),
für die Wahlen zur Jugend- und Auszubildendenvertretung ist die Einschränkung, dass Auszubildende das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben dürfen, entfallen. Es kommt daher nunmehr sowohl für die Größe der Jugend- und Auszubildendenvertretung als auch für die Wahlberechtigung darauf an, dass sich Mitarbeiter in der Ausbildung befinden – egal, wie alt sie sind – oder das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§§ 60 Abs. 1, 61 Abs. 1 BetrVG); auch hier gilt das vereinfachte Wahlverfahren für Betriebe bis 100 Wahlberechtigte (§ 62 Abs. 4 WO),
wählbar zur Jugend- und Auszubildendenvertretung sind alle zur Berufsausbildung Beschäftigten sowie Mitarbeiter, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 61 Abs. 2 BetrVG),
der Wahlvorstand kann seine nicht öffentlichen Sitzungen per Telefon- oder Videokonferenz abhalten, auch einzelne Wahlvorstandsmitglieder können auf diesem Weg zur Sitzung zugeschaltet werden (§ 1 Abs. 4, 5 WO); dies gilt nicht für ...

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