Rz. 89

Nach § 15 Abs. 1 BetrVG soll sich der Betriebsrat möglichst aus Arbeitnehmern der einzelnen Organisationsbereiche und der verschiedenen Beschäftigungsarten der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer zusammensetzen. Es handelt sich um eine bloße Ordnungsvorschrift; ein Verstoß hiergegen – wer sollte auch dafür verantwortlich sein? – hat keine Auswirkungen.

 

Rz. 90

Durch die BetrVG-Novelle 2001, in der die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten auch für das BetrVG aufgehoben worden ist mit der Folge, dass es im Betriebsrat keine feststehenden Arbeiter- und Angestelltensitze mehr gibt, ist der Minderheitenschutz für die Geschlechter eingeführt worden. Dies kann natürlich nur für Betriebsräte mit mindestens drei Mitgliedern gelten. Nach § 15 Abs. 2 BetrVG besteht der Schutz "für das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist". Dieses muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein; es kann aber jederzeit mehr Sitze einnehmen. Im Gegensatz zur früheren Regelung für Arbeiter und Angestellte steht also nicht von vornherein fest, wie viele Sitze auf Mehrheit und Minderheit entfallen. Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung sind unberechtigt (BAG v. 16.3.2005 – 7 ABR 40/04, juris).

 

Rz. 91

Im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 10.10.2017 (1 BvR 2019/16, juris), wonach das "dritte Geschlecht" als weitere Geschlechterkategorie anerkannt ist, und der folgenden Änderung des Personenstandsgesetzes (Änderung vom 22.12.2018) können sich Menschen nicht nur als männlich oder weiblich, sondern auch als "divers" eintragen lassen. Nötig ist eine ärztliche Bescheinigung. Das BVerfG geht davon aus, dass in Deutschland hiervon etwa 160.000 Menschen betroffen sind. Nach der Gesetzesbegründung ist die Eintragung möglich für "Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung", also für Menschen, bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden (Geschlechts-/Keimdrüsen) nicht eindeutig sind. Ob die Eintragung auch für Personen gelten muss, die eindeutig weiblich oder männlich sind, sich aber einem dritten Geschlecht zugehörig fühlen (bezogen auf das Transsexuellengesetz BGH v. 22.4.2020 – XII ZB 383/19, juris), bleibt abzuwarten. Dies könnte den Kreis der Betroffenen deutlich ausweiten (zum Ganzen sehr eingängig Dutta/Fornasier, NZA 2021, 605).

 

Rz. 92

Würde man dieses "dritte Geschlecht" als Minderheitsgeschlecht auch im Sinne des § 15 Abs. 2 BetrVG – und dem folgend § 5 WO – ansehen, wäre der vom Gesetzgeber beabsichtigte Minderheitenschutz für Frauen/Männer in der Praxis dann weitestgehend ausgehebelt, wenn sich auch nur eine einzige wahlberechtigte Person als "divers" eingetragen und dies offenbart hätte. Dann wäre dieses dritte Geschlecht die Minderheit, würde aber nach heutigem Stand wohl nie einen Mindestsitz erhalten, der vom Gesetzgeber mit der Geschlechterquote beabsichtigte Schutz von Frauen/Männern würde leerlaufen. Aus diesem Grund wird wohl überwiegend vertreten, dass das "dritte Geschlecht" bei der Frage des Geschlechterproporzes nach § 15 Abs. 2 BetrVG nicht zu berücksichtigen ist mit der Begründung, § 15 Abs. 2 BetrVG beziehe sich schon nach seinem Wortlaut nur auf Frauen und Männer und rechtfertige sich über Art. 3 Abs. 2 GG, solle die Benachteiligung von Frauen/Männern ausgleichen, nicht aber aus Art. 3 Abs. 3 GG, der allgemein die Gleichheit der Geschlechter normiere (Dutta/Fornasier, NZA 2021, 605, 612; Fitting, § 15 Rn 11b; DKW/Homburg, § 15 Rn 11; Richardi/Forst, Einl, WO Rn 3). Diese Auffassung ist vorzugswürdig. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, hier Abhilfe zu schaffen (a.A. GK/Jacobs, § 15 Rn 24: die Regelung ist verfassungskonform fortzubilden und die beiden Minderheitengeschlechter sind bei der Geschlechterquote zusammenzurechnen; ebenso ausführlich Jacobs/Bornemann/Vogt, in: FS Schmidt, S. 163; für verfassungskonforme Fortbildung auch Franzen, in: FS 100 Jahre BetrVG, S. 129, 140, der vorschlägt, die Frage der Berücksichtigung des dritten Geschlechts davon abhängig zu machen, ob auf dieses Geschlecht ein Sitz entfällt – dann soll das Verhältnis Männer/Frauen unberücksichtigt bleiben – oder nicht – dann soll es allein auf das Verhältnis Männer/Frauen ankommen).

 

Rz. 93

 

Hinweis

Für die Berücksichtigung des "dritten Geschlechts" in einem Sonderfall sprechen allerdings gute Gründe, nämlich dann, wenn ein eigentlich gewähltes Mitglied seinen Sitz zum Ausgleich des Geschlechterproporzes abgeben muss (vgl. § 15 WO). Würde dies ein Mitglied treffen, das nicht dem Mehrheitsgeschlecht, sondern dem "dritten Geschlecht" angehört, würde dieses (weitere) Minderheitengeschlecht einen eigentlich nach dem Wahlergebnis zustehenden Sitz verlieren. Um dies zu vermeiden, muss der auf der betreffenden Liste am weitesten unten platzierte Betriebsrat des Mehrheitsgeschlechts aus dem Betriebsrat weichen, um die Berücksichtigung des Minderheitengeschlechts zu gewährleisten.

 

Rz. 94

Abzustellen für die Frage, ob Frauen oder Männer in de...

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