“II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das angegriffene Urt. des AG beruht auf einer Rechtsverletzung und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Entgegen der Auffassung des AG steht dem Kl. Anspruch auf Schadensersatz gegen die Bekl. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 45 Abs. 6 S. 1 StVO zu.

1. Nach § 45 Abs. 6 S. 1 StVO müssen Unternehmer – Bauunternehmer unter Vorlage eines Verkehrszeichenplans – vor dem Beginn der Arbeiten, die sich auf den Straßenverkehr auswirken, von der zuständigen Behörde Anordnungen nach § 45 Abs. 1 bis 3 StVO darüber einholen, ob und wie der Verkehr zu beschränken, zu leiten und zu regeln ist; diese Anordnungen haben die Unternehmer nach § 45 Abs. 6 S. 2 StVO zu befolgen. Hiergegen hat die Bekl. verstoßen.

a) Die Bekl. war vorliegend zur Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung gem. § 45 Abs. 6 S. 1 StVO verpflichtet, weil sie als Bauunternehmerin mit der Durchführung von Bauarbeiten beauftragt war, die sich auf den Straßenverkehr auswirkten. Bauunternehmer i.S.d. § 45 StVO sind die für den Bau und die Bauausführung Verantwortlichen, nicht dagegen deren Auftraggeber wie hier der Landesbetrieb für Straßenbau (LfS) (vgl. OLG Zweibrücken, VRS 32, 62 zu § 3 Abs. 3a StVO a.F.; OLG Düsseldorf, VRS 87, 53; KG, Beschl. v. 6.10.2000 – 2 Ss 220/00, juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 45 StVO Rn 47; vgl. auch OLG Hamm, zfs 1998, 455; Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 42 Rn 65).

b) Entgegen der Behauptung der Bekl. lag eine verkehrsrechtliche Anordnung gem. § 45 Abs. 6 S. 1 StVO zum Unfallzeitpunkt nicht vor. Nach den in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des zuständigen Sachbearbeiters der Straßenverkehrsbehörde, des Zeugen … die auch von der Bekl. zuletzt nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt worden sind, war die Bekl. entsprechend einer getroffenen Vereinbarung verpflichtet, für jede der 4 Bauphasen eine gesonderte verkehrsrechtliche Anordnung zu beantragen. Dem ist die Bekl. auch für die Bauphasen 1, 2 und 4 nachgekommen. Für die hier maßgebliche Bauphase 3 hat sie indes die vorherige Beantragung einer verkehrsrechtlichen Anordnung unterlassen, so dass die Änderung der Beschilderung am Unfalltag ohne Rechtsgrundlage erfolgte.

2. Verstößt der Bauunternehmer gegen die Verpflichtung zur Einholung einer straßenverkehrsrechtlichen Anordnung gem. § 45 Abs. 6 S. 1 StVO, kann ihn die Haftung nach § 823 BGB treffen (vgl. BGH, Urt. v. 5.3.1974 – VI ZR 186/72, VersR 1974, 780 zu § 3 Abs. 3a StVO a.F.; OLG Karlsruhe, VersR 1976, 668; OLG Oldenburg, VersR 1993, 333 – Revision wurde vom BGH nicht angenommen, Beschl. v. 26.5.1992 – VI ZR 190/91; Hentschel a.a.O. Rn 45, 48). Entgegen der Auffassung der Bekl., die sich auf eine erstinstanzliche Entscheidung des LG Traunstein stützt (vgl. LG Traunstein, NJW 2000, 2360; zustimmend Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 823 Rn 70), stellt § 45 Abs. 6 S. 1 StVO nämlich ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des fließenden Verkehrs dar.

a) Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist nach der st. Rspr. des BGH eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2003 – VI ZR 385/02, VersR 2004, 356 m.w.N.). Das ist bei der Regelung des § 45 Abs. 6 S. 1 StVO der Fall.

b) Die Baustellenregelung des § 45 Abs. 6 StVO konkretisiert die allgemeine Verkehrssicherungspflicht an Straßenbaustellen, die jeden trifft, der auf öffentlicher Straße Arbeiten ausführt oder ausführen lässt (vgl. BGH, Urt. v. 8.2.1977 – VI ZR 217/74, VersR 1977, 543 zu § 3 Abs. 3a StVO a.F.; Hentschel, a.a.O. Rn 26, 45; vgl. auch OLG Stuttgart Justiz 1977, 434; OLG Hamm zfs 1998, 455; Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 42 Rn 65). Die Pflicht des Unternehmers zur Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung gem. § 45 Abs. 6 S. 1 StVO ist wesentlicher Bestandteil dieser Verkehrssicherungspflicht. Das kommt bereits in der Begründung des Verordnungsgebers zum Ausdruck. Dort heißt es:

“Die Beschilderung von Baustellen liegt weithin im argen, wie die tägliche Erfahrung lehrt. Die Bauunternehmer sind offenbar vielfach nicht in der Lage, das Richtige zu treffen und die Behörden scheinen ihre Zustimmung häufig ohne gründliche Prüfung zu geben. Es ist deshalb angezeigt, die Aufgabe klar zu scheiden, hier Anordnung, dort de...

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