Rz. 68

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Überganges eines Betriebes oder eines Betriebsteiles ist unwirksam (§ 613a Abs. 4 S. 1 BGB). Dieses Verbot ist nach seinem Zweck umfassend zu verstehen, sodass auch Änderungskündigungen, Aufhebungsvereinbarungen und Befristungsabreden hiervon erfasst sein können (ErfK/Preis, BGB, § 613a Rn 153).

 

Rz. 69

§ 613a Abs. 4 S. 1 BGB enthält ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S.v. § 13 Abs. 3 KSchG, § 134 BGB. Diese Bewertung des § 613a Abs. 4 BGB hat zur Folge, dass sich auch Arbeitnehmer auf das Kündigungsverbot berufen können, die keinen Kündigungsschutz genießen, sei es, dass deren Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung weniger als 6 Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG), sei es, dass sie in einem sog. Kleinbetrieb mit i.d.R. fünf oder weniger beschäftigten Arbeitnehmern tätig waren (§ 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG). Auch leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG haben diesen Kündigungsschutz, selbst wenn sie i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG zur selbstständigen Einstellung und Entlassung anderer Arbeitnehmer befugt sind (BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85). Die beim Veräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten sind bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG bei einer Kündigung des Erwerbers zu berücksichtigen (BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 270/01). Dies gilt auch für die Berechnung der Kündigungsfrist (BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 330/02).

 

Rz. 70

Nach erfolgtem Betriebsübergang ist der bisherige Arbeitgeber nicht mehr befugt, eine Kündigung des bereits übergegangenen Arbeitsverhältnisses auszusprechen, denn er hat ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Stellung des Arbeitgebers (BAG v. 27.1.2000 – 8 AZR 106/99; LAG Hamm v. 26.11.1998 – 8 Sa 1576/98; LAG Hamm v. 2.12.1999 – 4 Sa 1153/99; LAG Hamm v. 22.3.2001 – 4 Sa 579/00). Ohne förmlich gegen eine dennoch ausgesprochene Kündigung Klage erheben zu müssen, kann sich der Arbeitnehmer zumindest dann auf die fehlende Kündigungsbefugnis ggü. dem neuen Inhaber berufen, wenn dieser die Kündigung des Nichtberechtigten nicht nachträglich genehmigt hat (BAG v. 12.9.1985 – 2 AZR 193/84).

 

Rz. 71

Anders als zuvor wird die gerichtliche Geltendmachung seit den kündigungsrechtlichen Neuregelungen zum 1.1.2004 von der Klagefrist des § 4 KSchG erfasst (s. aber: europarechtliche Bedenken bei Kamanabrou, NZA 2004, 950, 951). Die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB muss daher innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung geltend gemacht werden (ErfK/Preis, BGB, § 613a Rn 173).

I. Unwirksamkeit einer Kündigung wegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB

 

Rz. 72

Eine Kündigung ist nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB unwirksam, wenn sie wegen des Betriebsübergangs erfolgt.

 

Rz. 73

Allein die Tatsache eines Betriebsüberganges muss tragender Grund für die Kündigung durch den bisherigen Inhaber oder den Betriebserwerber sein; deshalb ist bei der Anwendung des § 613a Abs. 4 BGB stets zu prüfen, ob es – neben dem Betriebsübergang – einen sachlichen Grund gibt, der "aus sich heraus" die Kündigung zu rechtfertigen vermag, sodass der Betriebsübergang nur der äußere Anlass, nicht aber der tragende Grund für die Kündigung gewesen ist. Es genügt zur Rechtfertigung der Kündigung nicht, dass der Betriebsübergang nur der äußerliche Anlass der Kündigung war, vielmehr muss das Motiv der Kündigung im Wesentlichen durch den beabsichtigten oder durchgeführten BetrInhW bedingt sein. Dementsprechend ist eine Kündigung nicht schon dann nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB rechtsunwirksam, wenn der Betriebsübergang für die Kündigung ursächlich war, sondern nur, aber auch dann ausnahmslos, wenn der Betriebsübergang der Beweggrund für die Kündigung war (BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81; s. dazu Hanau, ZIP 1984, 141). Betrachtet man dagegen § 613a Abs. 4 BGB wertungsmäßig als eine Einheit, ist maßgeblich, ob die Kündigung – den Betriebsübergang weggedacht – rechtswirksam wäre, etwa weil sie unter den gegebenen Umständen das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung und Weiterführung des Betriebes ist (Erman/Hanau, § 613a BGB Rn 111, 130; Hanau/Berscheid, Kölner Schrift zur InsO, S. 1541, 1554 Rn 23; Timm, ZIP 1983, 225, 228). Der Tatbestand des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist mithin immer dann, aber auch nur dann erfüllt, wenn eine Rechtfertigung der Kündigung aus anderen sachlichen Gründen ausscheidet (BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05; Berscheid, KGS, "Betriebsübergang/Betriebsinhaberwechsel" Rn 99). Dies zeigt aber auch bereits § 613a Abs. 4 S. 2 BGB, der eine Kündigung aus anderen Gründen ausdrücklich zulässt.

 

Rz. 74

Ein bevorstehender Betriebsübergang kann nur dann zur Unwirksamkeit gem. § 613a Abs. 4 BGB führen, wenn die den Betriebsübergang ausmachenden Tatsachen im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung bereits feststehen oder zumindest "greifbare" Formen angenommen haben (BAG v. 22.1.1998, RzK I 5e Nr. 81 = ZAP-ERW 1998, 141 m. Anm. Berscheid; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97; BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98; BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 827/98).

 

Rz. 75

Bei der Beurteilung, ob ...

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