Rz. 66

In Bußgeldsachen sind dagegen nicht die Vorschriften der ZPO, sondern die des Verwaltungszustellungsgesetzes bzw. die damit weitgehend deckungsgleichen jeweiligen landesrechtlichen Regelungen anzuwenden (§ 51 Abs. 1 OWiG).

Zwar enthielt auch das Verwaltungszustellungsgesetz von Anfang an eine dem § 189 ZPO vergleichbare Heilungsvorschrift (§ 9 VwZG), deren Anwendung war jedoch durch die bis zum 30.5.2005 geltende Fassung des § 51 Abs. 5 S. 3 OWiG ausdrücklich für die Fälle ausgeschlossen, in denen die Zustellung den Lauf einer Not- oder Rechtsmittelfrist (z.B. Zustellung eines Bußgeldbescheides) in Gang setzte (OLG Düsseldorf DAR 2004, 41; OLG Koblenz zfs 2005, 363).

Im Jahre 2006 wurde Absatz 5 Satz 3 des § 51 OWiG dahingehend geändert, dass ab sofort § 9 VwZG Anwendung fand; das heißt, dass danach der Zustellungsmangel durch den tatsächlichen Zugang beim Empfänger geheilt werden konnte (OLG Karlsruhe zfs 2008, 113).

 

Rz. 67

 

Achtung: Keine Heilung

Das bedeutet aber nicht, dass der Verteidiger das Problemfeld fehlerhafter Zustellungen - insbesondere von Bußgeldbescheiden - vernachlässigen könnte, es bleiben nämlich noch genügend Zustellungsmängel, die nicht geheilt werden können.

a) Mängel des bei der Zustellung übergebenen Schriftstückes

 

Rz. 68

Geheilt werden können nur Zustellungsmängel selbst, die entweder darin bestehen, dass der Nachweis durch Zustellungsurkunde oder andere Beweismittel nicht geführt werden kann oder dass das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellvorschriften zugegangen ist. Deshalb ist ein Mangel des bei der Zustellung übergebenen Schriftstückes selbst kein Zustellungsmangel und dieser Mangel kann somit auch nicht über die Heilungsvorschriften des § 189 ZPO bzw. § 8 VwZG geheilt werden.[4] Ein solcher Mangel liegt z.B. vor, wenn die Ausfertigung des zugestellten Bescheides in einem wesentlichen Punkt (z.B. abweichende Angaben zur Geldbuße oder zum Fahrverbot oder Anlagen sind nicht beigefügt) vom ursprünglich gewollten abweicht.

[4] Zöller, 29. Aufl. § 189 ZPO Rn 8.

b) Unwirksame Zustellung und formlose Mitteilung an den jeweils anderen Beteiligten

 

Rz. 69

Die Behörde hat bekanntlich ein Wahlrecht, ob sie den Bußgeldbescheid an den Verteidiger oder den Betroffenen zustellt; gem. § 51 Abs. 3 S. 2 bzw. S. 3 OWiG hat sie denjenigen, dem sie nicht zustellt, formlos zu unterrichten.

Soweit das OLG Saarbrücken (zfs 2009, 469) die Auffassung vertritt, durch den Eingang der formlosen Mitteilung beim Betroffenen bzw. dem Verteidiger werde eine unwirksame Zustellung geheilt, folgt ihm die herrschende Rechtsprechung zu Recht nicht (OLG Köln DAR 2013, 337; OLG Celle zfs 2016, 110; OLG Zweibrücken zfs 2016, 172).

 

Rz. 70

Der Empfänger soll nämlich mit der Zustellung in die Lage versetzt werden, seine Rechte zu wahren - insoweit dienen die Zustellungsvorschriften auch der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs (BVerfGE 67, 208) -, er muss sich deshalb von der Authentizität des ihm zugegangenen Schriftstückes überzeugen können (BGH, Urt. v. 15.3.2007 - 5 StR 536/06; BGH NJW 1992, 2280).

§ 2 VWZG stellt deshalb mit dem ausdrücklichen Erfordernis der Zustellung einer Urschrift, einer Ausfertigung oder einer beglaubigten Abschrift besondere Anforderungen an die Form des zu übergebenden Dokuments (vgl. amtliche Begründung BT-Drs 15/5216 zu § 2 S. 11), die die - im Übrigen von § 51 Abs. 3 OWiG vorgeschriebene - formlose Mitteilung eben nicht erfüllt. Außerdem fehlt es in diesen Fällen auch an dem notwendigen Willen gerade auch an diesen Empfänger zuzustellen (BGH NJW 2003, 119; OLG Celle zfs 2011, 647; zfs 2016, 110; OLG Köln DAR 2013, 337).

c) Tatsächlicher Zugang des Originals, Kenntnis des Inhalts genügt nicht

 

Rz. 71

Der Adressat selbst muss das Schriftstück in die Hände bekommen, nicht etwa nur eine Ersatzperson, wie dies z.B. bei einer fehlerhaften Ersatzzustellung (BGH MDR 2001, 889) der Fall ist.

Es genügt nicht einmal, dass ihm das zugestellte Originalschreiben per Fax übermittelt wird, wie auch die bloße Kenntnis des Empfängers von dem Inhalt des Schreibens, etwa durch Akteneinsicht (BayObLG NJW 2004, 3722) oder durch bloße (mündliche oder schriftliche) Unterrichtung über dessen Inhalt (BGH NJW 1992, 2099 [2100]) den Zustellungsmangel nicht heilen kann:

 

Rz. 72

 

Beispiel

Der Postbote will dem A, der seine Wohnung in einem mehrstöckigen Haus hat, einen Bußgeldbescheid zustellen. Von den Eltern des A, die in dem darunter liegenden Stockwerk wohnen, erfährt der Postbote, dass A in Urlaub ist, weshalb er dessen Eltern den Bußgeldbescheid in deren Wohnung ersatzzustellt. In einem Telefonat teilen die Eltern A den Inhalt des Bußgeldbescheides mit, woraufhin er sie bittet, einen Anwalt mit der Einspruchseinlegung zu beauftragen.

Ergebnis: Die Zustellung an die Eltern war keine zulässige Ersatzzustellung, so dass dadurch die Verjährung nicht unterbrochen wurde (OLG Hamm DAR 2004, 105; OLG Bamberg NZV 2006, 314).

d) Verjährungsunterbrechung bei wirksamer Zustellung

 

Rz. 73

Erst mit dem (von der Behörde nachzuweisenden) tatsächlichen Zugang beim Empfänger gilt das Schriftstück als ordnungsgemäß zugestellt. Ist es ihm innerhalb von zwei Wochen nach dessen Erlass zugegangen, ist die Verjährung bereits zum Erlasszeitpunkt unterbrochen (§ 33 Nr. 9 OWiG).

Lässt sich allerdings nicht ...

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