Leitsatz (amtlich)

1. Der bestellte Kanzleiabwickler tritt als Verfahrensbevollmächtigter vollständig an die Stelle des verstorbenen oder aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Rechtsanwalts. Folglich sind ihm allein gerichtliche Entscheidungen zuzustellen.

2. Die Heilung einer unterbliebenen oder fehlerhaften Zustellung setzt voraus, dass das betreffende Schriftstück mit Zustellungswillen des Gerichts dem betreffenden Verfahrensbeteiligten oder seinem Bevollmächtigten zugeht. Die bloße Kenntnisnahme bei Gelegenheit einer Akteneinsicht reicht nicht aus.

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 21.08.2003; Aktenzeichen 14 T 1377/03)

AG Nürnberg (Beschluss vom 19.12.2002; Aktenzeichen 1 UR II 383/02)

 

Tenor

I. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 21.8.2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.879 Euro festgesetzt. Der Geschäftswert für das Verfahren vor dem AG wird in Abänderung von Nr. 1II des Beschlusses des AG Nürnberg vom 19.12.2002 auf 5.926 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegner ist Wohnungseigentümer in einer Wohnanlage, die von der Antragstellerin verwaltet wird. Diese erwirkte gegen den Antragsgegner einen Vollstreckungsbescheid über eine Hauptsachesumme von insgesamt 5.926,18 Euro. Dieser Betrag setzte sich aus Wohngeldforderungen vom 1.1. bis 31.12.2001 und vom 1.1. bis 31.12.2002, jeweils gem. Wirtschaftsplan, zusammen.

Da in der nach zulässigem Einspruch des Antragsgegners durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem AG der damalige Verfahrensbevollmächtigte A der Antragstellerin nicht erschienen und auch keine Antragsbegründung eingegangen war, hat das AG mit Beschluss vom 19.12.2002 den Vollstreckungsbescheid aufgehoben, den Antrag abgewiesen und den Geschäftswert auf 6.625,50 Euro festgesetzt. Hiergegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht am 7.5.2003 erschien zwar der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin nicht, aber deren Geschäftsführer. Der Antragstellerin wurde aufgegeben, u.a. die Eigentümerbeschlüsse zu den Wirtschaftsplänen 2001 und 2002 sowie über die Jahresabrechnungen 1999, 2000 und 2001 vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 21.5.2003 meldete sich ein Rechtsanwalt B als Kanzleiabwickler des bisherigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und beantragte Verlängerung der Frist zur Vorlage der angeforderten Unterlagen um zwei Wochen. Einen Teil der Unterlagen übersandte die Antragstellerin dem Beschwerdegericht mit Schreiben vom 20.5.2003.

Mit Beschluss vom 21.8.2003 hat das LG die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Der Beschluss wurde gem. Vermerk der Geschäftsstelle "an Kl. Vertr." gem. § 174 ZPO am 28.8.2003 zur Zustellung gegeben. Ein Empfangsbekenntnis des früheren Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin oder dessen Kanzleiabwicklers befindet sich nicht bei den Akten.

Mit Schriftsatz vom 16.9.2003 haben sich die derzeitigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für die "Eigentümergemeinschaft -" bestellt und um Aktenübersendung zur Einsichtnahme gebeten. Mit Schreiben vom 1.10.2003 haben sie die Akten an das AG zurückgeschickt. Mit Schriftsatz vom 5.11.2003, eingegangen am 6.11.2003, an das LG haben die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin sich für diese bestellt und zugleich unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des LG vom 21.8.2003 eingelegt.

II. Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insb. rechtzeitig eingelegt (§ 45 Abs. 1 WEG, § 29 Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG).

a) Die Rechtsmittelfrist beginnt im Fall der Bekanntmachung durch Zustellung eines Beschlusses nach § 16 Abs. 2 FGG mit dem Zeitpunkt der wirksamen Zustellung. Im vorliegenden Fall lässt sich weder die Tatsache noch der Zeitpunkt einer wirksamen Zustellung nachweisen, weil eine Zustellungsurkunde oder ein Empfangsbekenntnis fehlt. Es ist nach dem Akteninhalt bereits zweifelhaft, ob ein Zustellversuch überhaupt an die richtige Person durchgeführt worden ist. Im Beschluss des LG ist als Verfahrenbevollmächtigter der Antragstellerin Rechtsanwalt A genannt. Dieser war aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Verfahrensbevollmächtigter; an seine Stelle war sein Kanzleiabwickler Rechtsanwalt B getreten, wie sich aus dessen Schriftsatz vom 21.5.2003 ergab. Nach § 55 Abs. 5, Abs. 2 S. 3 BRAO hat der Abwickler die gleichen Befugnisse wie der Rechtsanwalt, dessen schwebende Angelegenheiten er abzuwickeln hat. Er wird an dessen Stelle Verfahrensbevollmächtigter des Mandanten des verstorbenen oder aus der Anwaltschaft ausgeschiedenen Rechtsanwalts (Kleine-Cosack, BRAO, 3. Aufl., § 55 Rz. 4; Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § ...

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