a) Allgemeines

 

Rz. 7

Die Fälle, in denen handschriftliche Testamente unvollständig oder undeutlich formuliert werden, sind zahlreich. Hinzu kommen gemeinschaftliche Testamente mit verwirrendem Inhalt. Krone der auslegungsbedürftigen Testamente sind Mehrfach-Testamente mit unterschiedlichem oder unterschiedlich detailreichem Inhalt. Für sie alle gilt zunächst, dass der Wille des Erblassers ermittelt werden muss. Grundregeln wie §§ 2084, 2085 BGB sollen die Wirksamkeit des Testaments bzw. einzelner Verfügungen retten. Bleibt der Wille des Erblassers offen – aber auch nur dann –, greifen die gesetzlichen Auslegungs- und Ergänzungsregeln ein. Kann der Wille des Erblassers ermittelt werden, ist für deren Anwendung kein Raum. Im Zusammenhang mit notariellen Testamenten hat das OLG Hamm[15] darauf verwiesen, dass konkrete Anhaltspunkte bestehen müssen, um die Wortlautauslegung zugunsten eines anderen Erblasserwillens zu überwinden.

 

Praxishinweis

Dass gerade bei gemeinschaftlichen Testamenten notarielle Testamente oftmals kritisch hinterfragt werden müssen, zeigt der hier angesprochene Fall des OLG Hamm. Die Entscheidung ist u.a. wegen der Ausführungen zur Auslegung und zur Wechselbezüglichkeit von Verfügungen lesenswert. Im Ergebnis ist die Ablehnung der Wechselbezüglichkeit in diesem Urteil höchst fraglich.[16]

[16] Plausibler zur Wechselbezüglichkeit OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 582.

b) §§ 2101 Abs. 1, 2106 Abs. 2 BGB

 

Rz. 8

Nach § 1923 BGB kann eine im Erbfall noch nicht gezeugte Person nicht Erbe werden. Setzt der Erblasser daher eine noch nicht gezeugte Person zum Erben (nicht: Nacherben) ein, so ist diese nach der Auslegungsregel des § 2101 Abs. 1 BGB Nacherbe und erhält mit der Geburt als Ereignis, das den Nacherbfall auslöst (§ 2106 Abs. 2 BGB), das Erbe als Nach- und damit Vollerbe.

 

Rz. 9

Scharf hiervon abzugrenzen ist die Einsetzung einer im Erbfall noch nicht gezeugten Person als Nacherbe, die erst zum Zeitpunkt des Anfalls der Nacherbschaft nach den allgemeinen Regeln bereits gezeugt sein muss und die Erbschaft dann mit dem Nacherbfall gem. § 2139 BGB erhält. Typischer Fall ist die Ketten-Nacherbschaft, wonach das Kind Vorerbe, der Enkel erster Nacherbe und zweiter Vorerbe und der noch nicht geborene Urenkel zweiter Nacherbe werden soll.

 

Rz. 10

Eine weitere Frage soll die Berufung einer im Erbfall noch nicht gezeugten Person als Ersatzerbe aufwerfen.[17] Abgesehen davon, dass diese Fälle nur schwer konstruierbar sind, muss Lieder gefolgt werden, dass die Rechtsstellung einer noch nicht gezeugten Person nicht besser sein darf als die einer bereits gezeugten Person. Die "Rettung" der Erbenstellung des noch nicht gezeugten Ersatzerben als Nacherben ist daher zu verneinen.

[17] Grundlegend Diederichsen, NJW 1965, 671, 675; für Nacherbenstellung: Grüneberg/Weidlich, § 2102 Rn 4; MüKo-BGB/Lieder, § 2102 Rn 9.

c) § 2102 BGB

 

Rz. 11

§ 2102 BGB spiegelt die unterschiedliche Stärke der beiden Rechte als Nacherbe und Ersatzerbe wider. Die Stellung als Ersatzerbe ist schwächer als die des Nacherben. Der Ersatzerbe hat keine Mitwirkungs- und Kontrollrechte, er geht schlicht leer aus, wenn der "Haupt-"erbe das Erbe antreten kann. Deshalb kennt die Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB nur die Richtung, dass der Nacherbe im Zweifel auch Ersatzerbe ist – nicht umgekehrt.[18] Konsequent ist dann auch die Regel des § 2102 Abs. 2 BGB, wonach bei bestehen bleibenden Zweifeln eine Verfügung als Ersatzerbeneinsetzung zu werten ist. Auch für das gemeinschaftliche Testament gilt § 2102 BGB. Setzen sich die Eheleute gegenseitig zu Vorerben und einen Dritten zum "Nacherben des Vorverstorbenen" ein, so ist der Dritte im Zweifel auch Ersatzerbe für den "weggefallenen" Erstverstorbenen nach dem längerlebenden Ehegatten und erbt als Nacherbe und Ersatzerbe beim Tod des überlebenden Ehegatten beide Vermögensmassen.[19] § 2102 Abs. 1 BGB gilt auch für den Nachnacherben, der im Zweifel Ersatznacherbe ist.[20] Der Wille, einen im Testament eingesetzten Nacherben nicht auch als Ersatzerben einzusetzen, muss sich aus dem Testament zum Zeitpunkt dessen Erstellung ermitteln lassen. Nur wenn eine Unterbrechung der Erbenkette gewollt war, wenn der Vorerbe vor dem Vorerbfall verstirbt, rückt der Nacherbe nicht in die Stellung als Ersatzerbe ein.[21]

[19] Grüneberg/Weidlich, § 2102 Rn 3; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 582. Voraussetzung ist die Anwendung der Trennungslösung.
[20] MüKo-BGB/Lieder, § 2102 Rn 10.
[21] OLG Hamburg, NJW-Spezial 2020, 391.

d) § 2103 BGB i.V.m. § 2269 BGB

 

Rz. 12

§ 2103 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass in der Laiensphäre die Herausgabe eines Gegenstandes und die Übertragung dinglicher Rechtspositionen oft gleichgesetzt werden. Die Anordnung, dass z.B. A erbt und dem B zu dessen 25. Geburtstag das Erbe herausgeben muss, stellt eine Einsetzung als Vor- und Nacherbe dar. Bei gemeinschaftlichen Testamenten ist § 2269 Abs. 1 BGB zu beachten, wonach die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten mit der Einsetzung eines Dritten auf den "beiderseitigen Nachlass" nach dem To...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge