Rz. 187

Für eine Satzungssitzverlegung mit Formwechsel kann sich gleichsam aus einem bilateralen Vertrag ein Recht ergeben, den Satzungssitz identitätswahrend in einen anderen Staat zu verlegen. Misst man bspw. dem deutsch-us-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag (FHSV) von 1954[487] eine so weit gehende Möglichkeit bei,[488] bestehen trotzdem erhebliche Rechtsunsicherheiten. Es ist unsicher, ob ein Verfahren wie in der EU unter der Vereinigungstheorie (dazu ausführlich Rdn 88 ff.) ablaufen würde oder nicht. Der FHSV etwa regelt lediglich in Art. XXV Abs. 5 S. 2, dass die beiden Vertragsstaaten die Rechtsfähigkeit der Gesellschaften, die nach dem Recht des jeweils anderen Staates gegründet wurden, anerkennen, mithin in diesem Verhältnis grundsätzlich die Gründungstheorie (dazu Rdn 9) gilt.[489] Dies bedeutet keineswegs, dass damit einhergeht, dass hier die gleichen oder ähnliche Konsequenzen zu ziehen wären, wie es der EuGH im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit getan hat (dazu Rdn 27 ff.).

 

Rz. 188

Hinzu kommt die Problematik, dass die jeweiligen Register nicht ohne Weiteres von der Eintragung des Vorgangs überzeugt werden könnten und auch eine ggf. ausgestellte Bescheinigung über das Verfahren im Herkunftsstaat im Zielstaat nicht anerkannt werden könnte.[490] Für die Praxis ist der Formwechsel mit Drittstaatsbeteiligung daher momentan kein gangbarer Weg. Eine Sitzverlegung einer deutschen GmbH in das außerunionale Ausland gestaltet sich damit wohl als kaum durchführbar. Umgekehrt ist nicht zu erwarten, dass die deutschen Handelsregister eine Sitzverlegung eines Drittstaatenpendants der GmbH nach Deutschland eintragen würden.

 

Rz. 189

Die Probleme des grenzüberschreitenden Formwechsels in einen Staat oder aus einem Staat, der nicht an die Vorgaben des EuGH zur primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit gebunden ist, zeigen sich plakativ an den Umwandlungsversuchen britischer Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland nach dem Brexit (hierzu auch ausführlich § 2 Rdn 101 ff.). Früh wurde die Möglichkeit diskutiert, eine Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland durch Formwechsel in eine deutsche GmbH "zu retten" und die Gesellschafter vor der drohenden persönlichen Haftung nach einem Statutenwechsel zu bewahren.[491] Die deutsche Rechtspraxis musste jedoch erfahren, dass trotz der gefestigten EuGH-Rechtsprechung das in Großbritannien zuständige Companies House die Durchführung und Eintragung eines grenzüberschreitenden Formwechsels unter Hinweis darauf verweigerte, dass keine unionale Richtlinie über die grenzüberschreitende Sitzverlegung erlassen worden sei[492] und das britische Recht ein derartiges Verfahren nicht kenne, womit es an einer gesetzlichen Grundlage mangele.[493] Vor dem Zeitpunkt des Ausscheidens Großbritanniens aus der EU erschien es aussichtslos, rechtzeitig Rechtsschutz vor dem EuGH für dieses unionsrechtswidrige Verhalten zu erlangen.[494] Das Praxisbeispiel illustriert, wie praktisch bedeutsam ein kodifizierter Rechtsrahmen und ein wirksamer Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen sind.

 

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[487] Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954, BGBl 1956 II, S. 487; siehe auch. zu anderen bilateralen Abkommen Servatius, in: MünchHdbGesR, Bd. 6, § 15 Rn 21 ff.
[488] So Zwirlein, ZGR 2017, 114, 120; Ebke, RIW 2004, 740, 742.
[490] Siehe auch Knaier, in: WürzburgerNotHdb, Teil 5 Kap. 6 Rn 477.
[491] Siehe m.w.N. Teichmann/Knaier, EuZW-Sonderausgabe 1/2020, 14, 17.
[492] Es verwundert, dass dieses Argument nicht weiter in Zweifel gezogen wurde, als die Mobilitäts-RL letztlich erlassen wurde und Großbritannien zu diesem Zeitpunkt immer noch ein Mitgliedstaat der EU war.
[493] Heckschen, in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, Kap. 2 Rn 53; Heckschen, NotBZ 2017, 401, 404 f.; ein entsprechendes Schreiben des Companies House ist abrufbar unter: https://www.heckschen-vandeloo.de/cdn/user_upload/content/pdf/rechtsprechung/schreiben-companies-house-08–02–2017.pdf (Stand: 1.5.2021); hierzu auch Süß, ZIP 2018, 1277, 1279.
[494] Hierzu Knaier/Scholz, EWS 2018, 10, 14; Knaier, ZNotP 2018, 241, 249 f.

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