Tz. 78

Stand: EL 94 – ET: 10/2018

Bei der Sitzverlegung über die Grenze ist zu unterscheiden zwischen der Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung) und der Verlegung des statutarischen Sitzes (Satzungssitz). Ferner ist zu differenzieren zwischen der Verlegung in das Inl (Zuzugsfälle) und in das Ausl (Wegzugsfälle). Die zivilrechtlichen Folgen aus der Sitzverlegung ergeben sich aus dem gesellschaftsrechtlichen Kollisionsrecht, das bisher für die B-Rep nicht ges kodifiziert wurde. Zu den Theorien im Kollisionsrecht und der Entwicklung der EuGH-Rspr, s Tz 69ff.

Die Verlegung des Satzungssitzes ist gesellschaftsrechtlich mit Ausnahmen für die SE und SCE (s Art 8 Abs 1 SE-VO, verbunden mit einem Statutenwechsel nach Art 7 SE-VO) nicht möglich, da der Gründungsstaat insoweit eine Auflösung annehmen wird. So sehen § 4a GmbH und § 5 AktG ausschl einen statutarischen Sitz im Inl vor.

In Frage kommen insoweit die grenzüberschreitende Verschmelzung nach §§ 122aff UmwG oder die Umwandlung in eine SE. Davon zu unterscheiden ist die grenzüberschreitende Verlegung des statutarischen Sitzes unter Wechsel in eine Rechtsform des Zuzugsstaates (sog grenzüberschreitender Formwechsel). Durch eine analoge Anwendung der §§ 190ff UmwG ist für EU-EWR-Gesellschaften zB der Wechsel in eine dt GmbH möglich (s Tz 77 und NWB 2018, 137). Zur stlichen Beurteilung des grenzüberschreitenden Formwechsels s § 1 UmwStG Tz 111b.

 

Tz. 79

Stand: EL 94 – ET: 10/2018

Die Verlegung des Verwaltungssitzes nach D (Zuzugsfall) unter Beibehaltung des Satzungssitzes führt nach der Sitztheorie nur zu einer Anerkennung als rechtsfähige jur Pers, wenn die Gesellschaft im Zuge der Sitzverlegung nach den dt gesellschaftsrechtlichen Vorschriften gegründet und in das H-Reg eingetragen wurde.

Spätestens mit den Entscheidungen "Inspire Art" und "Sevic Systems" hat der EuGH allerdings klargestellt, dass für ihn die Sitztheorie insoweit und uneingeschr keine Bedeutung hat, als sie von den Regelungen des AEUV zur Niederlassungsfreiheit überlagert wird.

Konkret heißt das:

  • In anderen EU-Mitgliedstaaten rechtswirksam gegründeten Gesellschaften muss der Zuzug nach D unter Anerkennung ihrer Gründungsform erlaubt werden.
  • Solche ausl Gesellschaften dürfen nicht mehr entspr der Sitztheorie für Zwecke der innerstaatlichen Beurteilung bspw in Pers-Ges oder andere Kö-Gebilde umqualifiziert werden.
  • Die Gründung in einem anderen Mitgliedstaat ist unabhängig von der ihr zugrunde liegenden Intention nicht rechtsmissbräuchlich.

Durchaus noch umstritten ist in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, ob die Rechtsfähigkeit im Falle des Zuzugs einer ausl Gesellschaft nur dann erhalten bleibt, wenn im Gründungsstaat die Gründungstheorie gilt. Die dt Rspr hat jedenfalls für eine solche Sichtweise inzwischen in mehreren Urt Sympathie entwickelt (s Urt des BGH v 13.03.2003, GmbHR 2003, 527, und BFH v 29.01.2003, BFH/NV 2003, 969). Auch in der Lit hat man sich zT dieser These angeschlossen (zB s Dubovizkaja, GmbHR 2003, 697, s Forsthoff, DB 2003, 979) und beruft sich dabei im Wes auf die Grundaussagen des EuGH in der Daily-Mail-Entsch.

UE ist diese Auff aber spätestens seit der Entscheidung "de Lasteyrie du Saillant" mindestens fragwürdig. Der EuGH hat hier (s Urt des EuGH v 11.03.2004, DStR 2004, 551) im Fall einer französischen natürlichen Person entschieden, dass der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Vorbeugung gegen die St-Flucht eine Regelung einzuführen, wonach latente Wertsteigerungen besteuert werden, wenn ein Stpfl seinen stlichen Wohnsitz ins Ausl verlegt. Obwohl es hier lediglich um eine stliche Schranke ging, markiert der EuGH deutlich seine Grundposition. Jedenfalls für die EU-Mitgliedstaaten gebietet es sich uE damit, nach einem Recht innerhalb der EU einmal wirksam gegründeten Gesellschaften deren Rechtsstatus sowohl bei Zu- als auch bei Wegzug zu erhalten, und zwar unabhängig davon, ob im Gründungsstaat die Gründungs- oder die Sitztheorie gilt. Notwendig ist aber, dass nach dem Recht des Gründungsstaates auch eine Verlegung des Verwaltungssitzes zulässig ist.

Auch für den Nicht-EU-Bereich hat der BGH (s Urt des BGH v 13.03.2003, GmbHR 2003, 527, so auch s OLG Hamm v 24.04.2002, GmbHR 2003, 302) klargestellt, dass die Rechtsfähigkeit einer von dort nach D zuziehenden Kap-Ges jedenfalls dann erhalten bleibt, wenn ein bilateraler Vertrag eine dies begründende Vorgabe (zB Diskriminierungsverbot) enthält (dazu s Bungert, DB 2003, 1043). Im Urt-Fall ging es um die Parteifähigkeit einer US-amerikanischen Gesellschaft mit Sitz in Florida. Der BGH entschied, dass für diese Gesellschaft auf Grund des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags von 1954 zwingend die Gründungsanknüpfung gilt und diese Gesellschaft deshalb in D als rechtsfähig anzuerkennen ist. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Gesellschaft über das formale Band der Gründung hinaus weiterhin über tats effektive Beziehungen (sog "genuine li...

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