Rz. 9

Folgt ein Staat der sog. Gründungstheorie, entscheidet der Ort der Gründung über das anwendbare Recht (vgl. § 1 Rdn 3). Nach welchen Regeln das Recht am Gründungsort eine Gesellschaft entstehen lässt, ist wiederum eine Frage des Sachrechts. Für das englische Recht wäre beispielsweise zu prüfen, ob der Registersitz in England, Wales, Schottland oder Nordirland liegt (siehe Rdn 5). Auch für eine deutsche GmbH ist die Eintragung in einem deutschen Handelsregister entscheidend, weil die Gesellschaft erst dadurch Rechtsfähigkeit erlangt (§ 11 Abs. 1 GmbHG). Der vor einigen Jahren vorgelegte Entwurf zur Kodifizierung des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts[25] wollte mit seinem neuen Art. 10 Abs. 1 EGBGB das Gesellschaftsstatut gleichfalls am Registersitz anknüpfen (vgl. § 1 Rdn 31).

 

Rz. 10

Deutsche Gerichte folgen der Gründungstheorie, soweit die europäische Niederlassungsfreiheit oder völkerrechtliche Verträge sie dazu verpflichten (vgl. § 1 Rdn 7 ff.).[26] Die Gesellschaft wird dann als diejenige Rechtsform behandelt, die sie nach dem ausländischen Sachrecht angenommen hat.[27] Auf eine Gesellschaft, die ihren Registersitz beispielsweise in den Niederlanden hat und nach niederländischem Recht wirksam gegründet wurde, ist demnach niederländisches Gesellschaftsrecht anzuwenden, selbst wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland haben sollte. Dass derartige "Briefkastengesellschaften" häufig dazu dienen, inländische Schutzstandards zu unterlaufen, muss in gewissen Grenzen hingenommen werden.[28] Insbesondere im Gefolge der EuGH-Entscheidungen Centros, Überseering und Inspire Art (dazu Rdn 29 ff.), kam es zu massenhaften Gründungen von britischen Ltd. In Deutschland und der EU.[29] Dieser "Limited-Boom" führte zu einem erheblichen Aufkommen von Briefkastengesellschaften (dazu auch Rdn 32) und zahlreichen Folgeproblemen im Zusammenhang mit diesen und dem Brexit (hierzu ausführlich § 2 Rdn 39 ff.).

[25] Referentenentwurf des Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, siehe hierzu Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451 ff.; Schneider, BB 2008, 566 ff.; Wagner/Timm, IPrax 2008, 81 ff.; Rotheimer, NZG 2008, 181 ff.; Bollacher, RIW 2008, 200 ff.
[26] Die europäische Niederlassungsfreiheit gilt auch für EWR-Staaten (vgl. § 1 Rdn 22).
[27] Grundlegend BGHZ 154, 185, 189 (im Anschluss an die Überseering-Entscheidung des EuGH).
[28] Zu der umstrittenen Frage, inwieweit gegenüber Auslandsgesellschaften aus EU- und EWR-Staaten inländische Schutzvorschriften durchgesetzt werden können, siehe Rdn 27 ff.
[29] Vgl. Römermann, NJW 2006, 2065; Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 173; Niemeier, ZIP 2006, 2237 100; Becht/Mayer/Wagner, Journal of Corporate Finance 2008, 241; Ringe, ECFR 2013, 230 mit ausführlicher statistischer Untersuchung; siehe auch Teichmann/Knaier, GesRZ 2014, 285, 286.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge