Rz. 1

Die GmbH ist wie jede andere Kapitalgesellschaft als "Schöpfung des Rechts" von der Anwendung eines Rechts, auf deren Grundlage sie errichtet worden ist (Gründungsrecht), abhängig. Außerhalb der Geltung dieses Rechts ist ihr als "juristische Fiktion" die Existenzgrundlage entzogen. Wie die Existenz einer Figur aus dem indonesischen Schattenspieltheater davon abhängt, dass die vom Schauspieler bewegte Puppe vom Licht der Lampe beschienen wird, damit sie den Schatten werfen kann, gibt es die GmbH als juristische Person nur so lange, wie sie vom Licht einer Rechtsordnung beschienen wird, in der sie sämtliche Voraussetzungen für die wirksame Gründung einer Kapitalgesellschaft erfüllt.

 

Rz. 2

Wegen der territorialen Begrenztheit der Geltung gesellschaftsrechtlicher Normen wäre eine im Ausland nach dort geltendem Recht gegründete Gesellschaft im Inland unbeachtlich. Das freilich brächte jeden internationalen Handel zum Erliegen. Eine ausländische Kapitalgesellschaft könnte dann nicht einmal durch eine inländische Tochter handeln, denn auch diese könnte sie nur gründen, wenn sie zuvor anerkannt wird. Auch das System einer "Anerkennung" ausländischer juristischer Personen durch formellen Akt gehört der Vergangenheit an.[1] Eine ausländische Gesellschaft wird vielmehr ipso iure als rechtsfähige Kapitalgesellschaft behandelt, sobald diese nur nach dem für sie (aus deutscher Sicht) maßgeblichen Recht (dem Gesellschaftsstatut) wirksam als rechtsfähige Einheit errichtet worden ist.[2]

 

Rz. 3

Unterschiedliche Ansichten bestehen darüber, wie das Gesellschaftsstatut als das auf die Rechtsfähigkeit anwendbare Recht zu bestimmen ist. Nach einer Ansicht unterliegt die Gesellschaft dem Recht, nach dem sie gegründet worden ist (Gründungstheorie). Die Gründungstheorie ist im 18. Jahrhundert in England entwickelt worden und sollte garantieren, dass die in England gegründeten Kapitalgesellschaften im gesamten Commonwealth ihre Geschäfte betreiben können.[3] Infolge der Gründungstheorie können die Gründer sich durch die Wahl des Ortes, an dem die Gesellschaft inkorporiert werden soll, aussuchen, nach welchem Recht sie ihre Gesellschaft gründen wollen. Sie führt also zur Rechtswahlfreiheit.

 

Rz. 4

Mittlerweile gilt die Gründungstheorie nicht nur im Vereinigten Königreich, in den USA und allen anderen Ländern, die das englische Rechtssystem rezipiert haben, sowie in den meisten süd- und mittelamerikanischen Staaten. Auch in den Staaten des sog. kontinentalen Rechtssystems findet sie zunehmend Verbreitung, wie in der Schweiz, in Liechtenstein, den Niederlanden, Skandinavien und Osteuropa.

 

Rz. 5

In Deutschland – wie auch den weiterhin meisten westeuropäischen Staaten – ist das Gesellschaftsstatut nicht gesetzlich fixiert. Grundsätzlich wird es weiterhin auf der Basis der sog. Sitztheorie angeknüpft. Hiernach genügt es für die Anerkennung einer im Ausland gegründeten Gesellschaft nicht, dass diese den Bestimmungen des dort geltenden Rechts entsprechend errichtet worden ist. Die Gesellschaft muss in diesem Staat zusätzlich den tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung (effektiver Verwaltungssitz) haben. Für eine hauptsächlich im Inland tätige Gesellschaft genügt es daher nicht, dass diese im Ausland unter Einhaltung der dort geltenden Erfordernisse errichtet worden ist. Vielmehr soll sie die Vorschriften des inländischen Rechts einhalten, insbesondere was die Kapitalisierung, Haftung der Geschäftsführer, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, Durchgriffshaftung, Bilanzpublizität, Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmermitbestimmung angeht. Die Sitztheorie bezweckt damit den Schutz der Interessen des inländischen Rechtsverkehrs, indem sie das Recht des Staates, in dem die Gesellschaft schwerpunktmäßig tätig wird, zum Gesellschaftsstatut beruft.[4]

 

Rz. 6

Freilich ist die Geltung der Sitztheorie auch in Deutschland mittlerweile für zahlreiche Sonderfälle eingeschränkt worden (siehe Rdn 14 ff.). In der Praxis wird kaum noch einmal einer Gesellschaft die Rechtsfähigkeit unter Hinweis darauf versagt, dass sie ihren Hauptverwaltungssitz im Inland habe, aber nicht nach dem deutschen Recht gegründet worden sei.[5] Mit dem Wegfall der Niederlassungsfreiheit für englische Limited Companies und LLP ist allerdings am 1.1.2021 das Damokles-Schwert für diese Gesellschaften gefallen und wird den Gesellschaftern der nicht rechtzeitig abgewickelten "deutschen Limiteds" noch manches Ungemach bringen.[6] In der Rechtsprechung bestehen daher Tendenzen zum generellen Übergang auf die Gründungstheorie, um wieder zu einer einheitlichen Anknüpfung zu gelangen (siehe Rdn 30). Die politischen Widerstände sind freilich immer noch erheblich und haben einen generellen Übergang des Gesetzgebers zur Gründungstheorie (siehe Rdn 31) abgeblockt.

[1] Vgl. noch zum japanischen internationalen Gesellschaftsrecht Großfeld/Yamauchi, AG 1985, 229.
[2] Ausführlich zum Anerkennungsbegriff: MüKo-BGB/Kindler, IntGesR, 8. Aufl. 2020, Rn 319 ff.; von Bar/Mankowski, Interna...

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