Rz. 35

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss ein Rechtsanwalt Vorkehrungen für den Fall treffen, dass er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen Anweisungen für einen solchen Fall erteilen und für einen Vertreter sorgen, sofern er seinen Beruf als Einzelanwalt ausübt.[63] Vor allem infolge plötzlicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen kann für den Anwalt eine Lage eintreten, die es ihm unmöglich macht, seinen Mandatspflichten nachzukommen. Handelt es sich dabei um für ihn vorhersehbare Erkrankungen – etwa öfters eintretende Sehstörungen –, muss er in geeigneter Weise sicherstellen, dass dem Mandanten daraus kein Nachteil entsteht.[64] Wird der Anwalt dagegen unvorhersehbar krank, braucht er nur das zu unternehmen, was ihm in einer solchen Situation noch möglich und zumutbar ist. Das kann je nach den Umständen des Falles die Einschaltung eines Vertreters oder die Einreichung eines Fristverlängerungsantrags sein.[65] Ist es dem Anwalt aufgrund einer akuten unvorhergesehenen Krankheit nicht einmal zuzumuten, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, so kann ihm ein Fehler, der ihm in einem gleichwohl eingereichten Antrag unterlaufen ist, nicht als Verschulden angelastet werden.[66]

 

Rz. 36

Praktische Bedeutung gewinnt diese Problematik v.a. bei der Versäumung von Fristen. Die Rechtsprechung hat hier anerkannt, dass ein physischer Zusammenbruch mit Einlieferung ins Krankenhaus,[67] Herz- und Kreislaufbeschwerden, die zur Unterbrechung der aktuellen beruflichen Tätigkeit führen,[68] durch Diabetes bedingtes Unwohlsein[69] oder eine andere Krankheit, die mit hohem Fieber verbunden ist,[70] im Einzelfall den Vorwurf der Fahrlässigkeit ausschließen können.[71] Ist der Rechtsanwalt infolge Erkrankung an der Wahrnehmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung verhindert, hat er alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um das Gericht rechtzeitig von seiner Verhinderung zu unterrichten. Geschieht dies nicht, bejaht die Rechtsprechung eine schuldhafte Säumnis i.S.v. §§ 337, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO.[72]

 

Rz. 37

Besondere seelische Belastungen durch Ausnahmesituationen gehören ebenfalls hierher.[73] Dabei kommt es freilich immer darauf an, ob die Fristversäumung mit zumutbaren Maßnahmen noch vermeidbar gewesen wäre, wenn der Anwalt rechtzeitig die gebotene Vorsorge getroffen hätte.

 

Rz. 38

In krassen Fällen können die plötzlich eingetretenen körperlichen und seelischen Belastungen so groß sein, dass es dem Anwalt nicht einmal mehr zuzumuten ist, dafür Sorge zu tragen, dass die für entsprechende Situationen vorgesehenen Maßnahmen in Gang gesetzt werden.[74]

 

Rz. 39

Von diesen i.d.R. plötzlich und unerwartet auftretenden Ereignissen abgesehen kann der Anwalt sich für eine hinter der üblichen Sorgfalt zurückbleibende Bearbeitung eines Mandats grds. nicht durch den Hinweis auf gesundheitliche Beeinträchtigungen entlasten. Der Mandant hat Anspruch darauf, dass der Beauftragte seine Sache mit der berufsüblichen Sorgfalt bearbeitet. Ist für den Anwalt erkennbar, dass er dazu infolge persönlicher Umstände gegenwärtig nicht in der Lage ist, muss er entweder dafür sorgen, den üblichen Standard durch Herabsetzung seiner Belastungen wieder zu erreichen, oder, wenn dies nicht möglich ist, den Mandanten auf die Tatsachen hinweisen, die seine Arbeitskraft einschränken, damit jener selbstverantwortlich entscheiden kann, ob er gleichwohl das Vertragsverhältnis fortsetzen will. Danach versteht es sich von selbst, dass der Anwalt eine Pflichtverletzung nicht damit entschuldigen kann, er sei infolge andauernder Überlastung zu konzentrierter Arbeit nicht mehr fähig gewesen.[75]

 

Rz. 40

Die objektive Betrachtungsweise schließt erst recht eine Berufung des Anwalts auf mangelnde Kenntnisse oder fehlende Erfahrung aus. Der Mandant darf grds. nicht deshalb schlechter gestellt sein, weil er an einen Berufsanfänger geraten ist.[76] Eine Ausnahme kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Auftraggeber auf ein daraus herrührendes Risiko zuvor ausdrücklich hingewiesen wurde und sich aus den Umständen entnehmen lässt, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien das anwaltliche Handeln ausnahmsweise nicht an der berufsüblichen Sorgfalt gemessen werden sollte.

 

Rz. 41

Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang teilweise die Frage erörtert, ob strengere Verschuldensmaßstäbe bei besonders qualifizierten Rechtsanwälten, insb. bei solchen, die eine Bezeichnung als Fachanwalt erworben haben, anzulegen und umgekehrt bei ausländischen Rechtsanwälten mildere Anforderungen geboten sind.[77] Indessen handelt es sich dabei nicht um ein Problem des Verschuldens, sondern um die Frage, ob der Pflichtenkreis des Anwalts bei entsprechenden Berufsgruppen erweitert bzw. eingeschränkt ist (vgl. Rdn 10 f.).[78] Insb. kommt es darauf an, ob der Mandant den Anwalt gerade im Hinblick auf besonders ausgewiesene Fachkenntnisse beauftragt hat und, soweit er einen ausländischen Rechtsanwalt eingeschaltet hat, mit einem in gewisser Weise...

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