Rz. 195

Die Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unklarheit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelt § 306 BGB,[653] der wörtlich der Altregelung des § 6 AGB-Gesetz entspricht. Danach gilt Folgendes: Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt der Vertrag nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen wirksam (siehe Rdn 199 ff.). Damit wird der Grundsatz des § 139 BGB (wonach im Falle der Nichtigkeit eines Teils des Rechtsgeschäfts [Teilnichtigkeit] das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde) für Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgeschlossen (§ 306 BGB als lex specialis gegenüber § 139 BGB).[654] § 306 Abs. 1 BGB enthält eine "kodifizierte Abweichung von der Auslegungsregel des § 139 BGB".[655] Die Anwendung dieses Grundsatzes entspricht der Interessenlage beider (Arbeits-)Vertragsparteien.[656] Er gilt im Übrigen im Arbeitsrecht ohnehin allgemein.[657] § 139 BGB kann nur noch ganz ausnahmsweise dann zum Tragen kommen, wenn dies zum Schutz des Kunden und damit auch dem Zweck von § 306 Abs. 1 BGB entspricht.[658] § 306 Abs. 1 BGB bezweckt den Schutz der anderen Vertragspartei,[659] die regelmäßig an der Aufrechterhaltung des Vertrags ein Interesse hat.[660] Daher gelangt § 306 Abs. 1 BGB bei offenem Dissens (§ 154 BGB) über eine AGB-Einbeziehung nicht zur Anwendung.[661] Soweit die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, richtet sich der Inhalt des Vertrags dann gemäß § 306 Abs. 2 BGB nach den (dispositiven) gesetzlichen Vorschriften[662] (siehe Rdn 205 ff.). Der Vertrag ist nach § 306 Abs. 3 BGB (ausnahmsweise) unwirksam, wenn das Festhalten an ihm auch unter Berücksichtigung der gemäß § 306 Abs. 2 BGB vorgesehenen Änderung eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde (siehe Rdn 220 ff.). In diesem Falle würde der Schutzzweck von § 306 Abs. 1 BGB wegen der Kundenfeindlichkeit des Vertrags verfehlt.

 

Zusammenfassung

Nach § 306 Abs. 1 BGB, der auch dann zur Anwendung gelangt, wenn die Unwirksamkeit sich nicht aus den §§ 307309 BGB, sondern aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt, bleibt, sofern Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, der Vertrag im Übrigen (und unabhängig vom Parteiwillen) wirksam – womit die Norm von der Auslegungsregel des §§ 139 BGB abweicht, und bestimmt, dass der Vertrag bei Teilnichtigkeit grundsätzlich aufrechterhalten bleibt.[663] Der Vertrag soll zum Schutz des Vertragspartners des Verwenders soweit als möglich aufrechterhalten werden.[664]

Dies bedarf einer genauen Prüfung, welche "Bestimmung" i.S. des § 306 Abs. 2 BGB – mithin welche Allgemeine Geschäftsbedingung – tatsächlich unwirksam ist. Es ist – so das BAG[665] – zu überprüfen, ob sich die Klausel in verschiedener, jeweils einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung unterliegende Bestimmungen aufteilen lässt – weshalb, wenn der Verwender mehrere Bestimmungen (u.U. sogar in einem Satz) zusammengefasst hat, ungeachtet dieser Zusammenfassung materiell mehrere selbstständige Regelungen vorliegen können, die nur formal verbunden sind (sog. materielle Klauselmehrheit) und die insoweit gesondert einer AGB-Kontrolle unterzogen werden können und auch müssen.[666] Vor diesem Hintergrund können scheinbar einheitliche Klauseln einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil enthalten. Wenn nach dem Wegstreichen der unwirksamen Bestimmung eine verständliche Regelung verbleibt, so hat diese Bestand.[667]

 

Rz. 196

Dem Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die sich aufgrund einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung als unwirksam erweisen, ist im Allgemeinen kein Vertrauensschutz zuzubilligen.[668] Höchstrichterliche Urteile sind nämlich kein Gesetzesrecht. Damit erzeugen sie auch keine vergleichbare Rechtsbindung. Eine gerichtliche Entscheidung, die die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts betrifft, wirkt ihrer Natur schon nach auf einen in der Vergangenheit liegenden und damit in seiner rechtlichen Bewertung noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt ein. Im Hinblick auf diese grundsätzlich zulässige sog. unechte Rückwirkung können sich zwar im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Schranken aus dem Prinzip der Rechtssicherheit ergeben, wobei jedoch das Risiko, dass eine zunächst unbeanstandet gebliebene Klausel im Nachgang als unwirksam beurteilt wird, grundsätzlich der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu tragen hat.[669]

 

Rz. 197

Soweit der BGH in Einzelfällen,[670] gleichwohl in besonders gelagerten Einzelfällen, auch dem Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen partiell einen Vertrauensschutz zugebilligt hat, kommt (mangels Vergleichbarkeit) eine Übertragung dieser Judikatur auf die Fallkonstellation unwirksamer Schönheitsreparaturklauseln nicht in Betracht.[671] In entsprechenden Fällen tritt vielmehr na...

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