Rz. 205

Soweit die Bestimmungen nach § 306 Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind (siehe Rdn 199 ff.), richtet sich der Inhalt des Vertrags nach § 306 Abs. 2 BGB nach den (dispositiven) gesetzlichen Vorschriften. Nach § 306 Abs. 2 BGB gelangt anstelle der nicht geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Lückenfüllung das dispositive Recht[721] (d.h. die gesetzlichen Vorschriften – einschließlich ungeschriebener Rechtsgrundsätze,[722] ggf. entfällt auch einfach die Klausel[723]) zur Anwendung.[724] Eine geltungserhaltende Reduktion der unwirksamen Klausel, mithin deren Reduktion auf einen mit den §§ 305 ff. BGB gerade noch vereinbaren Regelungsgehalt (i.S. einer Suche nach der Grenze des am Maßstab der §§ 307 ff. BGB zu beurteilenden "gerade noch Zulässigen";[725] siehe hierzu Rdn 204, 166) ist (im Rahmen des § 306 BGB) ausgeschlossen.[726] Damit bleibt im Zusammenhang mit § 306 Abs. 2 BGB bei Unwirksamkeit einer Klausel grundsätzlich kein Raum mehr für eine hypothetische Vertragsauslegung nach den §§ 133, 157 BGB[727] (zu den Ausnahmen siehe Rdn 207).

Bei der Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen weist § 306 BGB grundsätzlich dem Verwender das Risiko der Unwirksamkeit und der daraus resultierenden Folgen zu, weshalb § 306 Abs. 2 BGB für diesen Fall bestimmt, dass sich der Inhalt des Vertrags in einem solchen Falle nach den sonst zur Anwendung kommenden gesetzlichen Regelungen richtet. Dies bedeutet in einem vom BGH entschiedenen Fall[728] (in dem es um die Kompensation unwirksamer Dekorations-AGB über einen Mietzuschlag ging), dass der Vermieter mangels wirksamer Abwälzung der Schönheitsreparaturen gemäß § 535 Abs. 1 S. 2 BGB die Instandhaltungslast in vollem Umfang zu tragen hatte.[729]

Die durch die Unwirksamkeit der Klausel eines Autovermietungsunternehmens, wonach die gegen Zahlung eines zusätzlichen Entgelts gewährte Haftungsfreistellung uneingeschränkt entfällt, wenn der Mieter gegen die ebenfalls in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Verpflichtung, bei einem Unfall die Polizei hinzuzuziehen, verstößt (Verstoß gegen § 307 BGB),[730] entstehende Vertragslücke kann durch die Heranziehung von § 28 Abs. 2 und 3 VVG geschlossen werden:[731] Ist eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, seien vorrangig die gesetzlichen Vorschriften als eine konkrete Ersatzregelung in Betracht zu ziehen. Nur wenn solche nicht zur Verfügung stehen, stelle sich die Frage, ob der ersatzlose Wegfall einer unwirksamen Klausel eine sachgerechte Lösung darstellt. Scheiden beide Möglichkeiten aus, sei zu prüfen, ob durch eine ergänzende Vertragsauslegung eine interessengerechte Lösung gefunden werden kann.[732] Sei eine Allgemeine Versicherungsbedingung nicht Vertragsbestandteil geworden, so fänden an ihrer Stelle die Regelungen des VVG Anwendung.[733] Das gelte entsprechend für die Haftungsfreistellung bei der gewerblichen Kraftfahrzeugvermietung, die sich am Leitbild der Fahrzeugversicherung zu orientieren habe.[734] Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion – wonach bei einer vorformulierten Vertragsbestimmung, durch die der Kunde des Verwenders unangemessen benachteiligt wird, eine Auslegung, die der Klausel gerade noch zur Wirksamkeit verhilft, verboten ist[735] – werde erst relevant, wenn die durch die Unwirksamkeit einer Klausel entstandene Vertragslücke nicht gemäß § 306 Abs. 2 BGB durch den Rückgriff auf gesetzliche Regelungen geschlossen werden könne, sondern es einer ergänzenden Vertragsauslegung bedarf.[736]

 

Rz. 206

Die Regelung ist nur durch Individualabrede (§ 305 lit. b BGB – siehe § 3 Rdn 61) – nicht hingegen durch eine bloße formularmäßige salvatorische Klausel (nach der bei Unwirksamkeit statt § 306 Abs. 2 BGB eine noch nicht konkretisierte Regelung gelten soll, die der unwirksamen Klausel wirtschaftlich annähernd entspricht – siehe hierzu Rdn 217)[737] – abdingbar.[738]

 

Rz. 207

Fehlt eine gesetzliche Reglung (und bietet die ersatzlose Streichung der Klausel keine interessengerechte Lösung), kommt (nur im Individualprozess – nicht im Verbandsprozess)[739] ggf. – keineswegs jedoch automatisch[740] – eine ergänzende Vertragsauslegung[741] zur Lückenausfüllung (wegen der Nichteinbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingung) in Betracht.[742] Diese erstrebt einen beiden Seiten so weit wie möglich gerecht werdenden Ausgleich.[743] Voraussetzung dafür ist zweierlei:

Eine ergänzende Vertragsauslegung zur Schließung einer Lücke, die durch die Unwirksamkeit einer der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB unterliegenden Klausel entstanden ist, setzt voraus, dass der Regelungsplan der Parteien infolge der durch die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel entstandenen Lücke einer Vervollständigung bedarf.[744] Das ist nur dann anzunehmen, wenn dispositives Gesetzesrecht zur Füllung der Lücke nicht zur Verfügung steht und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel keine angemessene, den typischen Interessen des AGB...

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