Rz. 220

Der Vertrag ist nach § 306 Abs. 3 BGB (als einer mit Art. 6 Abs. 1 Hs. 2 der Klausel-Richtlinie vereinbare Regelung)[811] insgesamt nichtig (Gesamtnichtigkeit), wenn das Festhalten an ihm auch unter Berücksichtigung der nach § 306 Abs. 2 BGB (d.h. im Falle des ersatzweisen Eingreifens dispositiven Rechts – siehe Rdn 205 ff.) vorgesehenen Änderung eine "unzumutbare Härte" für eine Vertragspartei[812] darstellen würde, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Unzumutbarkeit der Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs aus dem Vertrag (und nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses) ist[813] (siehe hierzu Rdn 225).

Gesamtnichtigkeit kann – losgelöst von § 306 Abs. 3 BGB – auch nach Wegfall einer Klausel eintreten, wenn dadurch eine weder durch das dispositive Recht noch durch eine im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung sinnvollerweise schließbare Lücke entsteht.[814]

 

Rz. 221

 

Beachte

Bei Freizeichnungsklauseln ist zu unterscheiden, ob es sich nicht um trennbare, aus sich heraus der Inhaltskontrolle zu unterwerfende Klauselbestandteile handelt (die weitschweifig und nicht genügend detailliert abgefasst sind).[815] Eigenständig sind i.d.R. solche Klauseln, die in einem eigenständigen Unterpunkt geregelt sind. Eine Klausel, nach der im Falle der Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung die Parteien verpflichtet sind, eine ergänzende Vereinbarung zu schließen, welche der unwirksamen möglichst nahe kommt, braucht nach § 306 Abs. 2 BGB nicht hingenommen zu werden (arg.: Sie verdrängt die gebotene Geltung des dispositiven Rechts zugunsten einer ergänzenden Vertragsauslegung).[816] Dies gilt gleichermaßen, wenn anstelle von § 17 VOB/B eine Bürgschaft auf erstes Anfordern vereinbart wird (die nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist):[817] Die Parteien haben dann nämlich eine Abweichung von § 17 VOB/B vorgesehen. Damit ist es ihnen verwehrt, zu dieser Bestimmung und den danach möglichen Sicherheitenbestellungen zurückzukehren. Es gibt keine Sicherheit zugunsten des Auftragnehmers.

 

Rz. 222

Die im Treuhänderverfahren durchgeführte Ersetzung der durch die Urteile vom 9.5.2001[818] wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärten Klauseln in Allgemeinen Bedingungen der Lebensversicherung über die Berechnung der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts, den Stornoabzug und die Verrechnung der Abschlusskonten durch inhaltsgleiche Bestimmungen ist – so der BGH[819] – unwirksam. Nach den Maßstäben des § 306 Abs. 2 BGB ergibt sich Folgendes: Der Stornoabzug entfällt. Die beitragsfreie Versicherungssumme und der Rückkaufswert bei Kündigung dürfen einen Mindestbetrag nicht unterschreiten.[820]

 

Rz. 223

Ein Vertrag ist nach § 306 Abs. 3 BGB (einer im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie eng auszulegenden Regelung)[821] aber nur dann unwirksam, wenn das Festhalten an ihm auch unter Berücksichtigung der vorgesehenen Änderungen nach § 306 Abs. 2 BGB (siehe Rdn 205 ff.) eine "unzumutbare Härte" für eine Vertragspartei darstellen würde.

 

Rz. 224

Die Unwirksamkeit des Vertrags nach § 306 Abs. 3 BGB (Totalnichtigkeit)[822] ist praktisch der seltene Ausnahmefall,[823] da den Verwender das Verwenderrisiko (d.h. das Risiko der Nichteinbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen)[824] trifft (und treffen soll).[825] Ihm wird ein Festhalten am Vertrag nur in den allerseltensten Fällen unzumutbar sein. Eine unbillige Härte aufseiten des Verwenders kann allenfalls dann einmal angenommen werden, wenn durch den AGB-Wegfall das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört wird.[826]

 

Rz. 225

Eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag für den Vertragspartner wird nur dann angenommen werden können, wenn der Vertrag leerläuft (Inhaltsleere) oder unklar ist[827] (bspw. im Falle eines untypischen Vertrags,[828] Konstellationen, in denen – im Falle eines gesetzlich nicht geregelten Vertragstyps – alle oder die meisten AGB-Klauseln entfallen würden).[829] Voraussetzung ist also, dass nach Wegfall der Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus der Sicht des Kunden der maßgebliche Vertragsinhalt unklar geworden ist. Ungewissheit oder Streit über die beidseitigen Rechte und Pflichten könnten drohen.[830] Der BGH[831] stellt hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für § 306 Abs. 3 BGB nach dem Wortlaut des Gesetzes ("Festhalten") auf jenen der Geltendmachung von Vertragsrechten (und nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses) ab.

 

Rz. 226

 

Beachte

Gesamtnichtigkeit des Vertrags tritt auch – unabhängig von § 306 Abs. 3 BGB – dann ein, wenn nach Wegfall der Allgemeinen Geschäftsbedingung (bspw. der Leistungsbeschreibung) sich eine Lücke auftut, die weder durch das dispositive Recht noch durch eine ergänzende Vertragsauslegung sinnvoll geschlossen werden kann.[832]

 

Rz. 227

Das Scheitern einer Einbeziehung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) führt im Zweifel hingegen keine Gesamtnichtigkeit des Vertrags herbei.[833]

 

Rz. 228

Eine formularmäßige erklärte Arbeitnehmerbürgschaft "auf erstes Anfordern" ist...

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