Rz. 79

Diese Argumentation ist aus mehreren Gründen falsch. Bereits der Anknüpfungspunkt für die Auslegung der Einwilligung durch das KG, nämlich die Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen einer konkludenten Einwilligung des Patienten in die Weitergabe seiner persönlichen Daten durch seinen Arzt, passt hier ersichtlich nicht. Es geht dort um ein (gesetzlich) besonders geschütztes Vertrauensverhältnis, bei dem strenge Anforderungen an die Annahme einer Einwilligung zur Weitergabe gestellt werden müssen. Hier geht es aber um eine sozialübliche Kommunikation unter Privaten. Keiner der Kommunikationspartner nimmt bei einer Kommunikation via Facebook ein gesteigertes Vertrauen in Anspruch, wie es im Verhältnis des Patienten zum Arzt der Fall ist.

 

Rz. 80

Gleichzeitig führen der Hinweis auf eine noch fehlende Verkehrssitte im Bereich der Kommunikation über Social-Media-Plattformen sowie der Hinweis auf die Richtlinien von Facebook zum Gedenkstatus in einen Zirkelschluss. Wenn eine Verkehrssitte als Anknüpfungspunkt noch fehlt, kann dieses Fehlen nicht als Argument gegen die Etablierung einer Verkehrssitte ins Feld geführt werden. Vielmehr müsste man prüfen, ob es in vergleichbaren Bereichen, bspw. im Bereich der analogen Kommunikation, eine Verkehrssitte gibt, an die man anknüpfen kann. Mit Blick auf die Richtlinien zum Gedenkzustand stellt sich zudem die Frage, ob diese überhaupt einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Auslegung darstellen können, denn ihre Rechtmäßigkeit steht nicht fest. So hatte das LG Berlin in seiner erstinstanzlichen Entscheidung[145] diese Richtlinien noch wegen § 307 BGB für unwirksam gehalten (vgl. auch § 5 Rdn 20, 30 f.).

 

Rz. 81

Die Kommunikationspartner können zudem bereits zu Lebzeiten des Erblassers nicht davon ausgehen, dass er die Umstände und den Inhalt der mit ihm geführten Kommunikationen für sich behalten wird. Facebook stellt in seinem Facebook Messenger nicht ohne Grund eine eigene Funktion zur Weiterleitung von Nachrichten an Dritte zur Verfügung. Ähnliche Funktionen findet man bei anderen elektronischen Kommunikationsformen, insbesondere bei E-Mails (Weiterleitung, Antwort mit Empfänger in "BCC" etc.). Solche Funktionen sind also "üblich" und prägen das Erwartungsbild der Kommunikationspartner. Das ist bei der Auslegung ihrer Einwilligung zu berücksichtigen.

 

Rz. 82

Betrachtet man also die Verkehrssitte, entspricht es gerade der Üblichkeit, dass der Adressat einer Nachricht, sei sie nun in elektronischer oder schriftlicher Form versandt worden, hierüber mit anderen kommunizieren und solche Nachrichten auch weiterleiten darf, wenn nicht besondere Umstände für eine Geheimhaltungsverpflichtung sprechen, etwa vertragliche Vereinbarungen, das Bestehen eines (gesetzlich geschützten) besonderen Vertrauensverhältnisses oder der Umstand, dass die Kommunikation den Kernbereich der persönlichen Lebensführung betrifft (siehe § 3 Rdn 33 ff.).

 

Rz. 83

Schließlich ist es im Bereich der schriftlichen Kommunikation gerade die Regel, dass Erben den Zugriff auf die auch privaten Kommunikationsinhalte des Erblassers erhalten. Das zeigt der Blick auf die §§ 2047 Abs. 2, 2373 S. 2 BGB. So sind "Schriftstücke, die sich auf die persönlichen Verhältnisse des Erblassers" beziehen (vgl. § 2047 Abs. 2 BGB) sowie die Tagebücher und Briefschaften des Erblassers als Teil seiner "Familienpapiere" (vgl. § 2372 S. 2 BGB) ausdrücklich Bestandteil des Nachlasses.[146] Gerade die Briefschaften des Erblassers bestehen aber aus Briefen, die er von seinen Kommunikationspartnern erhalten hat, und die damit die Rechte der Kommunikationspartner betreffen. Gleichwohl geht das BGB von einem Übergang im Wege des Erbgangs aus (siehe § 2 Rdn 40 ff.).

[145] Vgl. LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZErb 2016, 109 = ErbR 2016, 223 = ZEV 2016, 189.
[146] Prot. II S. 114.

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