Rz. 91

Eine Betriebseinstellung, eine Betriebseinschränkung oder die Insolvenzeröffnung oder die drohende Insolvenz sind keine Gründe, die eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen können.[162]

Jedoch ist nach der Rechtsprechung des BAG in eng begrenzten Fällen eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers möglich, der aufgrund eines Sonderkündigungsschutzes ordentlich unkündbar ist. Insbesondere tarifvertraglicher Sonderkündigungsschutz, der, wenn er gegeben ist, wegen der Kombination aus Alter und Betriebszugehörigkeit, zeitlich unbegrenzt gilt, stellt einen solchen Sonderfall dar.

 

Rz. 92

Da der an sich hohe Kündigungsschutz des außerordentlich unkündbaren Arbeitnehmers eingeschränkt wird, sind die Voraussetzungen keinesfalls geringer als bei einem Arbeitnehmer, dem tatsächlich außerordentlich gekündigt wird.

Im Einzelnen gelten folgende Voraussetzungen:

Ein objektiv zur außerordentlichen Kündigung berechtigender wichtiger Grund.

Ein das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegendes Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu lösen. Dabei ist bei Interessenabwägung auf die tatsächliche noch zukünftige Vertragsbindung (Regelaltersrente) abzustellen.

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB.

[162] ErfK/Niemann, § 626 Rn 89; vgl. HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 457.

(1) Objektiv Wichtiger Grund

 

Rz. 93

Nach der Rechtsprechung des BAG kommt eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer erst nach Ausschöpfung aller zumutbarer Mittel einschließlich der Umorganisation des Betriebes in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, wenn der Arbeitgeber trotz Wegfalls jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit den Arbeitnehmer noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde.[163]

 

Rz. 94

Der Arbeitgeber hat nicht nur darzulegen, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers am bisherigen Arbeitsplatz in Folge seiner Organisationsentscheidung nicht mehr möglich ist. Er hat vielmehr außerdem und von sich aus darzulegen, dass überhaupt keine Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – und sei es zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen.[164] Anders als bei der ordentlichen Kündigung reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber zunächst vorträgt, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei in Folge des Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht möglich und sodann eine dem widersprechende Darlegung des Arbeitnehmers abwartet. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum "wichtigen Grund". Es ist deshalb vom Arbeitgeber darzulegen.[165]

 

Rz. 95

Der Arbeitgeber hat, auch wenn der Prüfungsmaßstab des § 1 Abs. 3 KSchG bei der außerordentlichen Kündigung an sich keine Anwendung findet, diesen bei der außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist anzuwenden. Andernfalls würde es zu einem Wertungswiderspruch kommen, da ohne die Überprüfung der Sozialauswahl noch nicht einmal das Mindestmaß des Schutzes nach der ordentlichen Kündigung zur Anwendung käme.[166]

(2) Interessenabwägung

 

Rz. 96

Bei der Interessenabwägung ist auf die tatsächliche Dauer des Arbeitsverhältnisses bis zu dem Zeitpunkt des vorgesehenen Eintritts in den Ruhestand und nicht auf die fiktive Kündigungsfrist abzustellen.[167]

Aus diesem Grund ist es entscheidend, ob Umstände vorliegen, die es für den Arbeitgeber zumutbar erscheinen lassen, ein inhaltsleeres Arbeitsverhältnis möglicherweise über mehrere Jahre hinweg aufrecht zu erhalten. Es ist ein besonders strenger Prüfungsmaßstab anzulegen, um dem besonderen Kündigungsschutz Rechnung zu tragen.[168]

 

Rz. 97

 

Hinweis

Das BAG nimmt weder bei der Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes noch bei der Interessenabwägung eine Überprüfung der wirtschaftlichen Vorteile des Arbeitgebers zu den wirtschaftlichen Nachteilen des Arbeitnehmers vor. Das BAG geht auch bei der unternehmerischen Entscheidung in den Fällen der Kündigung eines außerordentlich unkündbaren Arbeitnehmers davon aus, dass auch die bei betrieblich organisatorischen Maßnahmen zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung nur daraufhin zu überprüfen ist, ob diese offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.

Ob die Unternehmerentscheidung nur einen einzigen Arbeitnehmer, der außerordentlich unkündbar ist, betrifft, in dem seine Tätigkeit fremd vergeben wird, hat nach dem BAG keinen Einfluss auf die Frage, ob eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzunehmen sei oder ...

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