Rz. 58

Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 und 3 KSchG auch dann sozial ungerechtfertigt und unwirksam, wenn die Weiterbeschäftigung unter den dort aufgeführten Parametern sowohl dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber objektiv möglich und zumutbar ist.

Dazu sind die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in verschiedenen Varianten unter § 1 Abs. 2 S. und S. 3 KSchG aufgenommen worden:

Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb des Unternehmens,
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens,
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen auf einem anderweitigen Arbeitsplatz im Unternehmen und der Arbeitnehmer hat sein Einverständnis dazu erklärt,
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unter geänderten Arbeitsbedingungen und der Arbeitnehmer hat sein Einverständnis dazu erklärt.

(1) Freier Arbeitsplatz

 

Rz. 59

Allen obigen Varianten der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ist gemein, dass die Weiterbeschäftigung nur freie Arbeitsplätze betrifft und somit das Vorhandensein eines solchen freien Arbeitsplatzes voraussetzt.[89]

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder bereits besetzte Arbeitsplätze frei zu kündigen, um eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzubieten. Anders als bei der Sozialauswahl geht es nicht darum, dass einem Arbeitnehmer für einen bestimmten Arbeitsplatz der Vorzug vor einem anderen Arbeitnehmer zu geben ist, sondern um die Vermeidung der Beendigungskündigung überhaupt.[90]

 

Rz. 60

Frei sind Arbeitsplätze, die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind.[91] Ob Arbeitsplätze frei sind, deren Inhaber vorübergehend z.B. wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, Urlaub, Mutterschutz, Elternzeit oder Wehrdienst die Arbeitsleistung nicht erbringen kann, wird unterschiedlich beurteilt.[92] Ist ein Arbeitnehmer erkrankt und es ist wahrscheinlich oder gar feststehend, dass der erkrankte Arbeitnehmer nicht in den Betrieb zurückkehren wird, sei allein dadurch der betreffende Arbeitsplatz nicht als frei anzusehen, solange der Arbeitsvertrag bestehe.[93]

 

Rz. 61

Es ist richtigerweise vielmehr zu prüfen, ob und wie der Arbeitsplatz besetzt werden soll.[94] Die Kontrolle über die Wiederbesetzung dieser Stelle ist nach Ansicht des BAG jedoch als gering einzuschätzen. So sei es – bis zur Grenze des Missbrauchs – Sache des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidungsfreiheit), darüber zu bestimmen, ob und ggf. wie lange er eine Krankheitsvakanz auf einem bestimmten Arbeitsplatz hinnimmt und ob und wie er sie überbrückt.[95] So wird nach dem BAG selbst bei Nichtrückkehr eines erkrankten Arbeitnehmers nicht von einer freien Stelle ausgegangen, wenn der Arbeitgeber diese nicht besetzen will.[96]

 

Rz. 62

Gibt es für einen Arbeitnehmer mehrere Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, dessen ursprüngliche Beschäftigungsmöglichkeit entfällt, eine neue jeweilige anbieten, die für den Arbeitnehmer gegenüber der bisherigen Stelle am wenigsten nachteilig ist.[97]

Sind in einem anderen Betrieb des Unternehmens mehrere Arbeitsplätze frei, ist ihre ­Anzahl aber geringer als die Zahl der zu entlassenen Arbeitnehmer, die weiterbeschäftigt werden könnten, hat der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der Sozialauswahl (s. Rdn 142 ff., umgangssprachlich "umgekehrte Sozialauswahl") den Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung in dem anderen Betrieb anzubieten, die sozial am schutzbedürftigsten sind.[98] Der Arbeitgeber darf eine Weiterbeschäftigung auch nicht dadurch vereiteln, dass er, ohne die Grundsätze der Sozialauswahl zu beachten, freie Arbeitsplätze besetzt oder externe Bewerber einstellt.[99] Er kann sich nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB nicht auf einen von ihm selbst treuwidrig durch eine vorgezogene Stellenbesetzung verursachten Wegfall freier Arbeitsplätze im Kündigungszeitpunkt berufen.[100]

 

Rz. 63

Im Falle eines Teilbetriebsübergangs muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass ein Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widerspricht und daher einem solchem Arbeitnehmer einen solchen freien Arbeitsplatz anbieten.[101]

Wird ein (Sockel-)Arbeitsvolumen bzw. werden (Dauer-)Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern abgedeckt, so gelten diese auch als freie Arbeitsplätze i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG. Dies soll dann nicht gelten, wenn die Leiharbeitnehmer zur Abarbeitung von sog. Auftragsspitzen eingesetzt werden.[102]

 

Rz. 64

Freie Arbeitsplätze sind auch bei solchen vertraglich vergleichbaren Arbeitsplätzen gegeben, die zum Zeitpunkt der Kündigung absehbar bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder zeitnah zu diesem Zeitpunkt noch frei werden.[103]

[89] Vgl. BAG v. 21.9.2000 – 2 AZR385/99, NZA 2001, 535.
[90] Vgl. HWK/Qecke, § 1 KSchG Rn 275.
[91] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 231.
[92] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 219 geht von einem nicht freien Arbeitsplatz aus, zutreffend aber HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 657, der eine differenzierte Betra...

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