Rz. 192

Gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sind in die Sozialauswahl solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten Interesse liegt.

Zunächst ist eine soziale Reihung unter den vergleichbaren Arbeitnehmern vorzunehmen, die dann auch maßgeblich ist, wenn für die Nichteinbeziehung nach Abs. 3 S. 1 aus mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist.[342]

aa) Leistungsträger

 

Rz. 193

Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG gilt S. 1 nicht, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer bestimmter Arbeitnehmer bedingen und damit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen. Der Arbeitgeber hat damit die Möglichkeit, nicht die Verpflichtung, Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen, wenn deren Weiterbeschäftigung in seinem betrieblichen Interesse liegt. Dies setzt voraus, dass der gekündigte und sozial schwächere Arbeitnehmer mit dem sozial stärkeren Arbeitnehmer vergleichbar ist, letzterer sich aber durch bestimmte Merkmale hervorhebt.[343]

 

Rz. 194

Das Interesse an der Weiterbeschäftigung muss auch "berechtigt" sein. Aus diesem Wortlaut folgt, dass ein betriebliches Interesse auch "unberechtigt" sein kann. Nach dem Gesetz sind danach dem betrieblichen Interesse entgegengesetzte Interessen denkbar, die einer Herausnahme von sog. Leistungsträgern aus der Sozialauswahl entgegenstehen können. Im Kontext mit der Sozialauswahl sind dies die Belange des sozial schwächeren Arbeitnehmers. Deshalb sind im Rahmen des § 1 Abs. 3 S. 2 seine Interessen gegen das betriebliche Interesse an einer Herausnahme von Leistungsträgern abzuwägen. Je schutzbedürftiger dabei der sozial schwächere Arbeitnehmer ist, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein.[344] Diese Abwägung hat im konkreten Vergleich zu erfolgen.[345]

 

Rz. 195

Auf die betrieblichen Interessen kann sich nur der Arbeitgeber berufen. Sie müssen – im Rahmen des vorgegebenen unternehmerischen Konzepts – objektiv vorteilhaft sein.[346] Dies unterliegt der gerichtlichen Kontrolle.[347] Zwischen dem Grundsatz der Sozialauswahl und der Nichteinbeziehung gilt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis.[348]

 

Rz. 196

Wegen des Ausnahmecharakters von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG kann mit dieser Bestimmung regelmäßig nicht ein Ausschluss erheblicher Teile der Belegschaft aus der Sozialauswahl gerechtfertigt werden.[349] Zum Teil wird vertreten, dass die Grenze bei 15 % der Gesamtbelegschaft liegen soll.[350] In jedem Fall wachsen die Anforderungen

[346] HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn 394.
[348] BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, NZA 2003, 42; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn 394.
[349] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 683; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn 763.
[350] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 683.

bb) Berechtigte betriebliche Interesse

 

Rz. 197

"Berechtigt" sind die vom Arbeitgeber geltend gemachten Interessen nur dann, wenn sie dem Betrieb einen – gemessen an dem vom Arbeitgeber frei bestimmten Unternehmenszweck – nicht unerheblichen Vorteil bringen, der bei der reinen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht zu erzielen wäre.[351] Der Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig im Hinblick auf die Tatsachen, dass ein erheblicher betrieblicher Vorteil durch den Verbleib des Leistungsträgers erreicht werden kann.[352] Er muss dies konkret und schlüssig darstellen, so dass das Gericht dies auch nachprüfen kann.[353] Pauschale Feststellungen reichen nicht aus.

[351] HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 882.

cc) Besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen

 

Rz. 198

Kenntnisse beziehen sich auf Fakten, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Ausbildung, seiner beruflichen Tätigkeit oder sonstigen Lebenserfahrung erlangt hat.[354] Spezielle Kenntnisse können sein: Kundenkontakte, Sprach- oder EDV-Kenntnisse, eine Ausbildungsberechtigung oder ein spezieller Führerschein. Gezielte Ausbildung eines Arbeitnehmers ist zulässig, solange sie nicht in Zusammenhang mit der Vorbereitung der Sozialauswahl veranlasst war, um die Herausnahme aus der Sozialwahl zu erreichen.[355] Die Mitgliedschaft in einer freiwilligen Feuerwehr und die damit verbundenen Kenntnisse rechtfertigen die Herausnahme eines Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 bei einer Gemeinde, die gesetzlich zum Brandschutz verpflichtet ist.[356]

Fähigkeiten betreffen die Eignung des Arbeitnehmers, die vertraglich übernommenen Aufgaben zu erfüllen, also seine Leistungsfähigkei...

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