Rz. 107

Betriebsübergang und Betriebsstilllegung schließen sich systematisch aus, weil beim Betriebsübergang die Identität des Betriebs/Teilbetriebs gewahrt bleibt und lediglich ein Inhaberwechsel stattfindet.[195]

Gemäß § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist eine Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber bzw. Betriebsinhaber oder durch den neuen Betriebsinhaber bzw. Arbeitgeber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils unwirksam. Dies ist ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S.v. § 13 Abs. 3 BetrVG, § 134 BGB.[196]

 

Rz. 108

Eine Kündigung "wegen" des Betriebsüberganges i.S.v. § 613a BGB liegt vor, wenn dieser zwar nicht einzige, aber doch der ausschlaggebende Beweggrund ist.[197] Dies ist beispielsweise gegeben, wenn eine Kündigung damit begründet wird, der neue Betriebsinhaber habe die Übernahme eines bestimmten Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz erhalten bleibt, deswegen abgelehnt, weil er "ihm zu teuer sei".[198]

 

Rz. 109

Wenn der Betriebsübergang zwar bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geplant war, aber noch nicht vollzogen ist, dann greift das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 BGB, wenn

der Betriebsübergang bei Ausspruch der Kündigung bereits geplant war,

der Betriebsübergang bereits konkrete Formen der Verwirklichung angenommen hat,

die Kündigung nur erklärt wurde, um den beabsichtigten Betriebsübergang vorzubereiten und zu ermöglichen.[199]

 

Rz. 110

 

Hinweis

Macht der Arbeitnehmer geltend, die Unwirksamkeit der Kündigung hänge nur davon ab, dass § 613a Abs. 4 S. 1 BGB eingreife, dann hat der Arbeitnehmer die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorzubringen und zu beweisen.[200] Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit bei ihm.[201] Der zeitliche Zusammenhang zwischen einem Betriebsübergang und einer betriebsbedingten Kündigung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Kündigung wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist. Sind jedoch dem Arbeitnehmer keine anderen Gründe für seine Kündigung bekannt gemacht worden, so spricht allein die Tatsache des zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Betriebsübergang und der Kündigung für die tatsächliche Vermutung, dass die Kündigung ­wegen des Betriebsübergangs erfolgte. Der Arbeitgeber muss dann zu seinen möglicherweise anderen Gründen vortragen, damit der Arbeitnehmer sich mit diesen auseinandersetzen kann.[202]

 

Rz. 111

Das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen bleibt gemäß § 613a Abs. 4 S. 2 BGB unberührt. Daher kann der Veräußerer aus Gründen kündigen, die die Voraussetzungen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG erfüllen (z.B. Auftragsmangel, Betriebsverlagerung, Rationalisierungsmaßnahmen).[203] Dasselbe gilt für den Erwerber des Betriebs.

 

Rz. 112

Der Veräußerer kann z.B. auch Rationalisierungsmaßnahmen durchführen, um die Chancen für eine Veräußerung des Betriebes zu erhöhen. Der Betriebsinhaber kann, auch wenn er seinen Betrieb veräußern will, zuvor ein eigenes Sanierungskonzept verwirklichen, indem er einen Strukturplan aufstellt und verwirklicht.[204]

 

Rz. 113

Nach der Rechtsprechung des BAG verstößt eine Kündigung auch dann nicht gegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB, wenn diese vom Veräußerer aufgrund eines Erwerberkonzepts ausgesprochen wird, wenn ein verbindliches Konzept bzw. ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hat.[205] Dies setzt voraus, dass zu diesem Zeitpunkt bereits rechtsverbindliche Vereinbarungen zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber über den Betriebsübergang sowie konkrete Pläne über die Durchführung der vom Erwerber beabsichtigen Betriebsänderungen vorliegen.[206] Der bisherige Arbeitgeber ist nach dem Betriebsübergang nicht mehr zur Kündigung berechtigt.[207]

 

Rz. 114

Will sich der Veräußerer auf das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG berufen, hat er zunächst immer zu prüfen, ob die Möglichkeit besteht, dass der Arbeitnehmer, der gekündigt werden soll, nicht in einem anderen Betrieb oder in einem von der Veräußerung nicht betroffenen Betriebsteil weiterbeschäftigt werden kann. Der Arbeitgeber hat bei einem bevorstehenden Teilbetriebsübergang einem Arbeitnehmer, von dem er damit rechnen muss, er werde dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen, nach dessen Widerspruch – gegebenenfalls unter geänderten Bedingungen – einen freien Arbeitsplatz anzubieten.[208] Der Arbeitgeber muss mit dem Widerspruch jedenfalls von dem Zeitpunkt an rechnen, in dem er den Arbeitnehmer vom dem bevorstehenden Übergang unterrichtet.[209] Besteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber mit dem Wegfall des bisherigen Beschäftigungsbedürfnisses rechnen muss, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu gleichen oder zumutbaren geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz, so kann der Arbeitgeber diese nicht dadurch zunichtemachen, dass er die freie Stelle zunächst besetzt und erst dann die Kündigung ausspricht. Der Arbeitgeber kann sich nicht auf den von selbst verursachten Wegfall der fre...

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