Rz. 15

Das anwaltliche Aufforderungsschreiben ohne Klageauftrag ist ein in der Praxis häufig vorkommender Anwendungsfall für die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Zu unterscheiden sind das Aufforderungsschreiben ohne Klageauftrag, das nach Nr. 2300 VV RVG abgerechnet wird, und das Aufforderungsschreiben mit Klageauftrag, das nach Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG abgerechnet wird (siehe dort bei § 7 Rdn 26 f.). Für die Berechnung der Gebühr kommt es dabei auf den erteilten Auftrag an; durch den Auftrag wird festgelegt, nach welcher Nummer des VV die Gebühr für das Aufforderungsschreiben zu berechnen ist. Da der Arbeitsaufwand für den RA in beiden Fällen derselbe sein dürfte, wird dies wohl auch bei der Ermittlung des Gebührensatzes der Geschäftsgebühr zu berücksichtigen sein. Das heißt, bei gleichem Tätigkeitsumfang und gleicher Schwierigkeit wird schwerlich zu begründen sein, warum ein Aufforderungsschreiben mit Klageauftrag eine 0,8 Gebühr (Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG) kosten soll und praktisch dasselbe Schreiben, nur ohne Klageauftrag, eine 1,3 Gebühr (Nr. 2300 VV RVG). Auch deshalb hat der Gesetzgeber der Nr. 2300 VV RVG für Inkassotätigkeiten in den Anmerkungen den Absatz 2 hinzugefügt.

 

Hinweis:

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung (Bundesratsdrucksache 830/03) steht auf Seite 263 zur Begründung der Nr. 3101 VV RVG: "…Der Rechtsanwalt wird, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die gebührenmäßige Privilegierung der außergerichtlichen Einigung nach Nr. 1000 VV RVG …versuchen, die Gegenseite zunächst für eine Einigung zu gewinnen. Gelingt ihm dies, wird dadurch ein gerichtliches Verfahren überflüssig. Der Anwalt hat in der Regel bereits eine meist auch zeitaufwändige Vorarbeit unter Einsatz seines Fachwissens und seiner beruflichen Erfahrung geleistet, die sich schon in der Fertigung der Klageschrift und deren direkter Übermittlung an die Gegenseite niedergeschlagen hat (ein gern und häufig mit Erfolg praktiziertes Verfahren, mit dem der Gegenseite noch einmal eine Chance zum Einlenken eingeräumt und der Ernst der Lage vor Augen geführt wird). Oft kommen dadurch überhaupt erst Einigungsverhandlungen in Gang, die vielfach zur gütlichen außer- und vorgerichtlichen Beendigung des Rechtsstreits führen. … Deshalb ist mit Rücksicht auf die künftige Verfahrensgebühr nach Nummer 3100 VV RVG-E mit einem Gebührensatz von 1,3 in der dargestellten Fallkonstellation ein Gebührensatz von 0,8 gerechtfertigt."

Dies ist die offizielle Argumentation des Gesetzgebers, warum für einen vorgerichtlichen Versuch der Beilegung eines Rechtsstreits ein Gebührensatz von 0,8 angemessen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der RA Klageauftrag hat und, wie in der Begründung des Bundesjustizministeriums dargestellt, in den meisten Fällen sogar schon den Entwurf der Klageschrift fertig gestellt hat.

Für ein Aufforderungsschreiben ohne Klageauftrag, wenn eine Klageschrift noch nicht einmal entworfen werden muss, kann denn wohl kaum ein höherer Gebührensatz als 0,8 (im Vergleich mit Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG) verlangt werden – ob ein geringerer Gebührensatz angemessen ist, sei dahingestellt. Natürlich entscheiden im Sinne des § 14 RVG die Umstände des Einzelfalles, aber vielleicht sollten vorstehende sich aus der Gesetzesbegründung ergebende Überlegungen bei Ermittlung des Satzes der Geschäftsgebühr für ein solches Aufforderungsschreiben mit berücksichtigt werden.

 

Rz. 16

Da Aufträge zur außergerichtlichen Rechtsbesorgung durch den Anwalt neben anderen Tätigkeiten (siehe oben) häufig auch das Fertigen eines oder mehrerer Schriftsätze beinhalten, z. B. eines Aufforderungsschreibens, sollte allerdings nicht nur auf die Schriftsätze, sondern auch auf die anderen zur Auftragsbesorgung gehörenden Tätigkeiten geachtet werden, wenn die Höhe der jeweiligen Geschäftsgebühr innerhalb des Gebührenrahmens durch den RA bestimmt wird. Der RA wird häufig mehr tun, als nur ein Schreiben zu erstellen. Deshalb kann der Schriftsatz allein noch nicht für die Gebührenhöhe der Geschäftsgebühr ausschlaggebend sein. So macht es einen enormen Unterschied, ob ein Klient, der nur die unstrittige Kaufpreisforderung aus einem Kaufvertrag gegen den Kaufpreisschuldner durchsetzen will, den RA beauftragt, oder ob ein völlig hilfloser Unfallgeschädigter kurz nach dem Unfallereignis von dem RA erst Rat und Hilfe erwartet und dann gegen den Unfallschuldigen bzw. seinen Haftpflichtversicherer vertreten werden möchte. In der Kaufpreissache wird kein längeres Beratungsgespräch erforderlich sein, da sich die Kaufpreisforderung unzweifelhaft aus dem Kaufvertrag ergibt und keine rechtlichen Probleme aufweist. Dagegen wird die Beratung und Vertretung des Unfallopfers eher langwieriger Natur sein. Dies ist jeweils bei der Bestimmung des Gebührensatzes der Geschäftsgebühr durch den RA im konkreten Einzelfall im Sinne des § 14 RVG zu berücksichtigen.

 

Rz. 17

Entscheidend ist nach Nr. 2300 Anm. Abs. 1 VV RVG für die Bestimmung des Gebührensatzes der Geschäftsgebühr insbesondere, ob die Anwaltstätigkeit u...

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