Rz. 353

Der Arbeitgeber, der aus betriebsbedingten Gründen kündigen möchte, hat eine soziale Auswahl vorzunehmen.[605] Nach dem Kündigungsschutzgesetz ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Falle dringender betrieblicher Erfordernisse den sozial am wenigsten schutzbedürftigen Arbeitnehmer zu entlassen.

Bevor die Sozialauswahl durchgeführt werden kann, ist es erforderlich, den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer konkret zu bestimmen. Hierfür ist Maßstab die sog. Vergleichbarkeit. Vergleichbar sind hiernach Arbeitnehmer, die gegenseitig austauschbar sind.[606]

 

Rz. 354

Es ist festzustellen, welche Arbeitsplätze mit welchem Anforderungsprofil in welcher Zahl entfallen sind. Für die Vergleichbarkeit kommt es nicht auf den konkret weggefallenen Arbeitsplatz, sondern auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit an. Bei der sozialen Auswahl unterscheidet man zwischen horizontaler Vergleichbarkeit und vertikaler Vergleichbarkeit. Während unter horizontaler Vergleichbarkeit die jeweilige Ebene der Betriebshierarchie verstanden wird, bezeichnet die vertikale Vergleichbarkeit die Fallgestaltung, dass sich der höher qualifizierte Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, bereiterklärt, auf einer niedrigeren Ebene der Betriebshierarchie weiter zu arbeiten, um so die Vergleichbarkeit auf diese Ebene zu erstrecken.[607]

Nach allgemeiner Ansicht bezieht sich die Vergleichbarkeit auf den jeweiligen Beschäftigungsbetrieb. Probleme ergeben sich, wenn ein überbetrieblicher Einsatzbereich vereinbart wird. Fraglich ist auch, wie weit der Rahmen der Vergleichbarkeit abzustecken ist, wenn Arbeitsplätze in einer unselbstständigen Filiale eines räumlich weitgestreuten Gesamtbetriebes wegfallen, etwa weil diese Filiale insgesamt geschlossen wird. Hier wird man im Ergebnis die Sozialauswahl dann auf die jeweilige Filiale zu beschränken haben, wenn es sich um einen räumlich und organisatorisch abgrenzbaren Teilbetrieb handelt.[608]

 

Rz. 355

Bei der Sozialauswahl ist zunächst festzustellen, welcher Arbeitsplatz mit welchem Anforderungsprofil weggefallen ist. Sodann ist festzustellen, welche Arbeitnehmer auf Arbeitsplätzen gleichen Anforderungsprofils beschäftigt sind. Innerhalb dieser Arbeitnehmer ist eine soziale Rangfolge aufzustellen. Es ist insoweit der am wenigsten schutzbedürftige Arbeitnehmer zu ermitteln. Sodann ist der arbeitsvertragliche Funktionsbereich dieses Arbeitnehmers festzustellen. Deckt sich dieser exakt mit dem vom teilweisen Wegfall von Arbeitsplätzen betroffenen betrieblichen Funktionsbereich, so hat es hiermit sein Bewenden. Deckt sich dieser insoweit nicht, sondern geht er allein über diesen Bereich hinaus, so ist eine weitere Sozialauswahl unter allen vom Funktionsbereich dieses Arbeitsvertrages erfassten Arbeitnehmern durchzuführen.[609]

 

Rz. 356

Nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sind im Rahmen der Sozialauswahl die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Alle vier Kriterien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sind prinzipiell gleichrangig. Keinem Kriterium kommt ein absoluter Vorrang zu. Wenn der Arbeitgeber die vier zwingenden Rahmendaten ausreichend berücksichtigt hat, liegt es in seinem Wertungsspielraum, in einem Fall die Betriebszugehörigkeit, in einem anderen das Alter bei einer nicht eindeutigen Auswahlentscheidung entscheiden zu lassen. Ein solcher Wertungsspielraum ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ("ausreichend"). Dies darf allerdings nicht dazu führen, dem Arbeitgeber einen so weiten Wertungsspielraum zuzubilligen, dass das Gebot der sozialen Auswahl, welches u.a. das grundrechtliche Sozialstaatsgebot konkretisiert und damit eine zwingende Schutzvorschrift darstellt, gänzlich unterlaufen wird und praktisch jede Auswahlentscheidung akzeptabel wird.[610] Zu berücksichtigen sind nur die Sozialdaten, die im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung vorlagen. Der Arbeitgeber muss sich vor Durchführung der Sozialauswahl die aktuellen Grunddaten besorgen.[611] Dies wird für Lebensalter und Betriebszugehörigkeit in der Praxis unproblematisch sein. Regelmäßig weiß der Arbeitgeber aber nicht, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Dritten gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist. Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, die vergleichbaren Arbeitnehmer vor Durchführung der Sozialauswahl zu befragen, in welchem Umfang Unterhaltspflichten tatsächlich bestehen.[612] Ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch nach einer etwaigen Schwerbehinderteneigenschaft befragt, wird der sich sehr genau überlegen, da in der Praxis häufig erst die Frage zur Antragstellung führt. Andererseits wird im Fall der betriebsbedingten Kündigung regelmäßig die Zustimmung erteilt.[613]

 

Rz. 357

Sind bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigu...

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