1. Materielles Recht

 

Rz. 105

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Vorerbe für die Zeit der Vorerbschaft vom Nacherben Aufwendungen ersetzt verlangen kann, regeln die §§ 21242126 BGB. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Erhaltungskosten, gewöhnlichen und außergewöhnlichen Lasten sowie sonstigen Verwendungen.

a) Gewöhnliche Erhaltungskosten und Lasten

 

Rz. 106

Die gewöhnlichen Erhaltungskosten und die gewöhnlichen Lasten muss der Vorerbe selbst tragen (§§ 2124 Abs. 1, 103 BGB). Unter den Begriff der gewöhnlichen Erhaltungskosten fallen insbesondere regelmäßig wiederkehrende Aufwendungen zur Erhaltung des Nachlasses, die aus den jährlichen Nutzungen gedeckt werden können.[122]

Beispiele für gewöhnliche Erhaltungskosten: normale Instandsetzungsarbeiten an Nachlassgrundstücken und Verschleißreparaturen,[123] z.B. der Kauf neuer Reifen für den zur Erbschaft gehörenden Pkw, weil die alten abgefahren sind.[124]

 

Hinweis

Soweit jedoch die Amortisation der Aufwendungen (insbesondere für die Instandsetzung von Nachlassgrundstücken) erst längerfristig zu erwarten ist, können die Erhaltungskosten als außergewöhnlich angesehen werden.[125]

Beispiele für gewöhnliche Lasten:[126] auf Erbschaftsgegenstände anfallende Steuern (Grundsteuer, Kfz-Steuer), Zinsen auf Nachlassschulden (Tilgungsleistungen fallen hingegen als außergewöhnliche Erhaltungskosten bzw. außergewöhnliche Lasten dem Nachlass zur Last),[127] Versicherungsprämien.[128]

 

Rz. 107

Gehört ein Unternehmen zur Erbschaft, fallen dem Vorerben auch die laufenden Betriebsausgaben wie Löhne, Einkauf von Rohstoffen, Werbung und Steuern zur Last.[129] Dies gilt auch für kleinere Investitionen und die Kosten einer normalen Expansion des Unternehmens, da das Wahrnehmen von Marktchancen Teil einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses ist.[130]

[122] BGH NJW 1993, 3198, 3199; vgl. Staudinger/Avenarius, § 2124 Rn 4.
[123] BGH NJW 1993, 3198, 3199; Nieder/Kössinger/R. Kössinger, § 10 Rn 9.
[124] Ebenroth, Rn 610.
[125] Staudinger/Avenarius, § 2124 Rn 5 m.w.N.
[126] Vgl. Damrau/Tanck/Bothe, § 2124 Rn 3.
[127] BGH NJW 2004, 2981, 2982; MüKo/Grunsky, § 2126 Rn 3.
[128] Nieder/Kössinger/R. Kössinger, § 10 Rn 9.
[129] Staudinger/Avenarius, § 2124 Rn 6; Ebenroth, Rn 610; NK-BGB/Gierl, § 2124 Rn 5; a.A. MüKo/Grunsky, § 2124 Rn 4; Bamberger/Roth/Litzenberger, § 2124 Rn 2; Damrau/Tanck/Bothe, § 2124 Rn 3.
[130] Staudinger/Avenarius, § 2124 Rn 6.

b) Außergewöhnliche Erhaltungskosten und Lasten

 

Rz. 108

Die außergewöhnlichen Erhaltungskosten sowie die außergewöhnlichen Lasten fallen dem Nachlass zur Last (§§ 2124 Abs. 2 S. 1, 2126 BGB). Unter außergewöhnlichen Erhaltungskosten sind vor allem Aufwendungen mit langfristig wertsteigernder Wirkung zu verstehen.[131] Außergewöhnliche Lasten werden dadurch charakterisiert, dass sie nur einmalig anfallen.[132]

Beispiele für außergewöhnliche Erhaltungskosten: notwendige größere Reparaturen, z.B. Modernisierung einer Heizungsanlage, Einbau von Isolierglasfenstern,[133] Rationalisierung eines Maschinenparks, Beseitigung von Zerstörungen, Kosten eines im Interesse des Nachlasses geführten Rechtsstreits,[134] Tilgungsleistungen auf Grundschulden und Hypothekendarlehen.[135]

Beispiele für außergewöhnliche Lasten: Erblasserschulden, die meisten Erbfallschulden,[136] Vermächtnisse und Auflagen, die nicht allein dem Vorerben auferlegt sind, Pflichtteilslasten, Erschließungsbeiträge der Nachlassgrundstücke,[137] Erbschaftsteuer[138] mit Ausnahme von Säumniszuschlägen und Vollstreckungskosten,[139] Einkommensteuer aus Veräußerungsgewinn.[140]

 

Rz. 109

Soweit der Vorerbe die Aufwendungen nicht aus Mitteln der Erbschaft, sondern aus seinem eigenen Vermögen bestritten hat, kann er diese entweder bereits während der Dauer der Vorerbschaft im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung aus dem Nachlass entnehmen[141] oder nach Eintritt des Nacherbfalls gemäß §§ 2124 Abs. 2 S. 2, 2126 BGB gegenüber dem Nacherben geltend machen.

 

Rz. 110

Ab dem Eintritt des Nacherbfalls kann der Vorerbe neben dem Aufwendungsersatz Zinsen und Befreiung von den Verbindlichkeiten nach §§ 256, 257 BGB verlangen.

 

Rz. 111

Bei einer Kreditaufnahme zur Bestreitung außergewöhnlicher Aufwendungen muss der Vorerbe nach der Rechtsprechung des BGH in der Lage sein, die anfallenden Zinsen aus seinem Eigenvermögen – wozu auch die Erträge der Erbschaft zählen – zu bestreiten, auch die Tilgung darf er nicht vollständig dem Nacherben überlassen.[142] Dementsprechend kann er insoweit auch keinen Ersatz vom Nacherben verlangen. Dem Vorerben stehen als Ausgleich lediglich die durch die finanzierten Investitionen erhöhten Erträge der Erbschaft zu. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz muss aber für den befreiten Vorerben gelten. Da dieser befugt ist, die Nachlasssubstanz für sich selbst zu verwenden (§§ 2136, 2134 BGB), muss ihm erst recht die Verwendung der entnommenen Beträge für den Nachlass gestattet werden.[143]

[131] BGH NJW 1993, 3198, 3199; Soergel/Harder/Wegmann, § 2124 Rn 5; Brox/Walker, Rn 375.
[132] MüKo/Grunsky, § 2126 Rn 1 m.w.N.
[134] NK-BGB/Gierl...

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