Rz. 227

Viele Forderungen in der Zwangsvollstreckung stammen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung auch, wenn sie als vertraglicher Zahlungsanspruch tituliert werden.

 

Hinweis

Besonders häufig ist hier der Eingehungsbetrug bei Onlinegeschäften zu sehen, der die Forderung (auch) aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB begründet oder die Leistungserschleichung, die zu einem entsprechenden Forderungsrecht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 265a StGB führt. Beim Eingehungsbetrug bestellt der Schuldner Ware oder Dienstleistungen, obwohl er weiß, dass er diese bei Fälligkeit nicht wird bezahlen können. Dies wird regelmäßig dadurch dokumentiert und – widerlegbar – indiziert, dass er drei Monate vor oder bis zu drei Monate nach dem Zeitpunkt der Eingehung der Verbindlichkeit im Schuldnerverzeichnis eingetragen ist, insbesondere wenn die Eintragung auf § 882c Abs. 1 Nr. 2 ZPO beruht. Bei der Leistungserschleichung nutzt er etwa den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ohne einen gültigen Fahrschein.

Der Gläubiger kann in diesen Fällen neben der Zahlungsverpflichtung auch die Feststellung titulieren lassen, dass die Forderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung stammt, um dies gegenüber dem Vollstreckungsorgan nachweisen zu können. Der Vollstreckungsbescheid genügt dafür nicht, da er nur die Zahlungsverpflichtung tituliert, auch wenn ein deliktischer Anspruchsgrund angegeben ist.[83] Eine materielle Prüfung im Vollstreckungsverfahren scheidet aus. Um die höheren Kosten einer solchen Titulierung zu vermeiden, kann als Nachweis auch eine entsprechende Bestätigung des Schuldners – etwa in einer Zahlungsvereinbarung – dienen.[84] Auch ein Strafbefehl oder ein Strafurteil können als Nachweis dienen, wenn sich aus ihnen zweifelsfrei ergibt, dass der Verurteilung die Vollstreckungsforderung zugrunde liegt. Das Hinweisblatt des BMJ greift deshalb zu kurz, wenn es nur auf den Vollstreckungstitel als möglichen Nachweis abstellt. Der Vorteil zeigt sich dann nicht nur nach § 850f Abs. 2 ZPO in der Zwangsvollstreckung, sondern nach § 302 InsO – bei entsprechender Anmeldung – auch in der potenziellen Insolvenz des Schuldners, da eine solche Forderung an der Restschuldbefreiung nicht teilnimmt.

 

Rz. 228

Wird die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben, so kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehenen Pfändungsfreigrenzen bestimmen; dem Schuldner ist jedoch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf.

 

Rz. 229

Die Privilegierung bei der Vollstreckung einer Forderung (auch) aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung erfolgt nach § 850f Abs. 2 ZPO nur auf Antrag des Gläubigers. Die Antragstellung erfolgt dadurch, dass es im Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses oder eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nach Anlage 4 ZVFV heißt

"Es wird beantragt, den beigefügten Entwurf wie ausgefüllt als Beschluss zu erlassen"

und durch das entsprechende Ankreuzen des Kästchens zu Modul S der Anlage 5 ZVFV. Die aufgezeigte Formulierung zeigt zugleich, dass der Gläubiger oder sein Bevollmächtigter als "Vorschlag" auch das Modul S befüllen können, wenn nur gesichert ist, dass der Rechtspfleger die Voreintragungen entfernen, ergänzen oder ändern kann, d.h. das Formular nach Anlage 5 ZVFV als ausfüllbares und änderbares PDF übermittelt wird.

 

Rz. 230

Wird der Antrag nach § 850f Abs. 2 ZPO nicht gestellt, so kann auf das Modul als Ganzes verzichtet werden, § 3 Abs. 2 Nr. 6b i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 2 ZVFV. Der Antrag kann auch nach dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses – dann isoliert – gestellt werden. Dies kann etwa dann notwendig werden, wenn der Gläubiger erst nach dem Erlass Informationen zur vorsätzlich unerlaubten Handlung des Schuldners erlangt. Der Antrag nach § 850f Abs. 2 ZPO kann dann isoliert gestellt werden. Er unterfällt isoliert nach § 2 ZVFV nicht der Formularpflicht. Das schließt es nicht aus, auf das Modul Q zurückzugreifen, um den Antrag mit einem gewissen Wiedererkennungseffekt für das Vollstreckungsgericht zu gestalten.

[84] Vgl. hierzu OLG Düsseldorf v. 7.6.2013– 7 U 198/11; vgl. auch BGH NJW 2015, 3029 Rn 13, der ein solches Anerkenntnis nur innerhalb von AGB für unwirksam erachtet. Es bedarf also der Individualisierung des Anerkenntnisses. Nichts anderes ergibt sich aus dem Beschl. des BGH v. 22.9.2002 – IX ZB 180/02, wo der BGH nur ausspricht, dass ohne eine titulierte Feststellung § 850f Abs. 2 ZPO nicht angewandt werden kann, wenn der Schuldner nicht zustimmt. Die Zustimmung ergibt sich aber aus dem außergerichtlichen Anerkenntnis. Das kann dadurch verstärkt werden, dass das Anerkenntnis ausdrücklich auf § 850f Abs. 2 ZPO und § 302 InsO hinweist.

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