1. Wissen um Alkoholisierung

 

Rz. 6

In der Diskussion um die Schuldform wird nicht immer gesehen, dass Vorsatz nicht bereits dann vorliegt, wenn der Täter um seine Alkoholisierung weiß, sondern erst, wenn er seine Fahrunsicherheit erkannt oder zumindest billigend in Kauf genommen hat.

2. Indizien

a) Höhe des Alkoholwertes

 

Rz. 7

Immer wieder wird versucht, den Vorsatz alleine mit der Höhe des festgestellten Alkoholwertes zu begründen. Obwohl doch aus der Rechtsmedizin[1] bekannt ist, dass mit steigendem Promillewert die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit abnimmt, was eher gegen die Annahme von Vorsatz bei hohen Promillewerten spricht. In der obergerichtlichen Rechtsprechung besteht deshalb Einigkeit, dass aus der Höhe des Alkoholwertes alleine nicht auf eine vorsätzliche Begehung geschlossen werden darf und es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach derjenige, der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, sich seiner Fahrunsicherheit bewusst ist oder diese billigend in Kauf nimmt (OLG Stuttgart NZV 2011, 412; OLG Düsseldorf zfs 2017, 590; OLG Karlsruhe DAR 2019, 579; OLG Dresden BA 56 [2019], 14). Auch wenn der BGH (DAR 2015, 390) ausdrücklich darauf hinweist, dass die Höhe des Alkoholwertes ein zumindest wichtiges Indiz für bedingten Vorsatz sein kann,[2] betonen Oberlandesgerichte (z.B. OLG Düsseldorf zfs 2017, 590), dass auch nach der Entscheidung des BGH die Vorsatzfrage weiterhin über die Feststellung der Höhe des Alkoholwertes hinausgehender zusätzlicher Indizien bedürfe.

Nach wie vor kann deshalb selbst (oder gerade) aus hohen Promillewerten wie z.B. 1,98 ‰ (OLG Hamm NZV 2005, 161), 1,86 ‰ (OLG Düsseldorf NZV 2017, 98), 2,21 ‰ (OLG Düsseldorf NZV 2017, 537) oder 2,4 ‰ (BGH NZV 1991, 117) alleine nicht auf Vorsatz geschlossen werden.

 

Tipp: Aufgrund eigener Einlassung

Da fast regelmäßig die Einlassung des Angeklagten Argumente für eine Vorsatzverurteilung liefert, sollte der Verteidiger intensiv prüfen, ob überhaupt eine Einlassung notwendig ist.

Besonders schwierig ist eine Vorsatzverurteilung dann zu begründen, wenn zwischen Trinkende und der Alkoholfahrt eine nicht unerhebliche Zeit liegt. Dann bedarf die Annahme des Vorsatzes nämlich einer besonders sorgfältigen Prüfung und Begründung, weil Abbau und Wirkung des Restalkohols von Betroffenen häufig verkannt werden und deshalb meist nur Fahrlässigkeit vorliegen wird (OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 85; OLG Koblenz NZV 2008, 304).

[1] Schreiber/Zink, BA 83, 511; Blank, BA 97, 126.
[2] Kritik König, DAR Extra 2015, 737.

b) Anlässlich der Blutentnahme erhobene Befunde

 

Rz. 8

Aus Vermerken wie z.B. "Denkablauf geordnet" oder "keine Ausfallerscheinungen ersichtlich" kann ebenso wenig (OLG Hamm zfs 1996, 233) auf Vorsatz geschlossen werden, wie aus der Zeit für den Drehnystagmus (OLG Dresden NZV 1995, 236; OLG Zweibrücken NStZ 1995, 96), jedenfalls so lange der Nüchternwert nicht bekannt ist, da andernfalls nicht feststeht, dass die lange Dauer des Drehnystagmus auf die Alkoholwirkung zurückzuführen ist.

 

Achtung: Kein Verwertungsverbot bei unterbliebener Belehrung

Der Betroffene hat zwar keine Mitwirkungspflicht bei den von dem untersuchenden Arzt im Rahmen der Blutprobe durchgeführten Tests, auch wenn der Arzt wie regelmäßig, über die Freiwilligkeit nicht informiert, besteht jedoch kein Beweisverwertungsverbot (OLG Celle zfs 2018, 111).

c) Alkohol und Drogen

 

Rz. 9

Selbst wenn der Täter zu erheblichen Mengen Alkohol (1,84 ‰) noch zusätzlich Cannabis konsumiert hat, kann nicht ohne Weiteres von Vorsatz ausgegangen werden (OLG Frankfurt zfs 1995, 232).

d) Trinken in Fahrbereitschaft

 

Rz. 10

Allein aus der Tatsache, dass jemand in dem Wissen um die Alkoholaufnahme und die anschließende Rückfahrt mit dem Pkw an sein Ziel fährt, kann noch nicht auf Vorsatz geschlossen werden (OLG Karlsruhe NZV 1993, 117). Das mag bei hoher Promillezahl und dem Wissen um die genossene Trinkmenge (OLG Celle NZV 1996, 204) anders zu beurteilen sein, nicht aber, wie das OLG Celle (zfs 2014, 228) meint, bereits dann, wenn ein Berufskraftfahrer getrunken hatte, obwohl er wusste, dass er noch fahren musste.

 

Rz. 11

 

Tipp

Trinken in Fahrbereitschaft und damit Vorsatz können vor allem dann nicht angenommen werden, wenn der Angeklagte vor der Fahrt zunächst vorhatte, mit dem Taxi nach Hause zu fahren (OLG Hamm zfs 1996, 233).

e) Extreme Fahrfehler

 

Rz. 12

Bekanntlich ist die Wahrnehmungsfähigkeit gerade bei höheren Alkoholwerten regelmäßig deutlich gestört. Es ist deshalb unzulässig zu unterstellen, der Kraftfahrer habe seine Fahrunsicherheit wegen seiner auffälligen Fahrweise (z.B. extreme Schlangenlinien) erkannt (OLG Hamm zfs 1998, 482).

f) Ausfallerscheinungen

 

Rz. 13

Zwar ist es grundsätzlich zulässig, Ausfallerscheinungen als Indiz für Vorsatz zu werten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass gerade mit fortschreitender Trunkenheit – dies gilt vor allem bei über 2 ‰ liegenden Werten – die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit des Täters gestört sind (OLG Zweibrücken DAR 1999, 132).

g) Besonders vorsichtige Fahrweise

 

Rz. 14

Eine besonders vorsichtige Fahrweise bei einer BAK von 1,8 ‰ lässt noch nicht den Schluss zu, dass der Fahrer sich seiner Fahruntüchtigkeit bewusst ist (OLG Köln VRS 72, 387).

h) Polizeiflucht

 

Rz. 15

Die Absicht, einer polizeilichen Überprüfung, insbesondere einer ...

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