Verfahrensgang

AG Neuss (Entscheidung vom 16.06.2016)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 16. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Gesamtgeldstrafe von siebzig Tagessätzen zu je 30 € verurteilt; es hat ferner die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie eine achtmonatige Sperre für deren Wiedererteilung "ab dem Tag der Hauptverhandlung" angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner (Sprung-)Revision.

I.

Das Rechtsmittel hat bereits mit der allgemeinen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg, so dass sich eine Prüfung der darüber hinaus erhobenen Verfahrensrüge erübrigt.

1. Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 11. Oktober 2015 gegen 5.35 Uhr mit seinem Pkw in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand - eine ihm um 6.40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille - unter anderem die Feldstraße in D.. Er kam an der Einmündung Lstr./Fstr. nach links von der Fahrbahn ab und fuhr in die Einfahrt der F.str., wo er mit dem abgeparkten Pkw der Zeugin M. L. "kollidierte". Anschließend setzte er zurück und entfernte sich in Fahrtrichtung G.-B.-P.

2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht.

Zwar hat das Amtsgericht zutreffend angenommen, dass der Angeklagte aufgrund seiner Alkoholisierung absolut fahruntüchtig war. Dagegen läßt sich den Ausführungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass infolgedessen Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet worden sind. § 315 c Abs. 1 StGB setzt - wie allgemein anerkannt ist - in allen seinen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Die Tathandlung muss dabei über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation für die genannten Rechtsgüter geführt haben (vgl. BGH NJW 1995, 3131 m.w.N.).

a. Es lässt sich den Feststellungen bereits nicht entnehmen, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zu einer konkreten Gefahr in diesem Sinne geführt hat.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, wie es zu dem Abkommen des Angeklagten an der Einmündung Lstr./Fstr. "nach links von der Fahrbahn" gekommen sein soll. Sie enthalten beispielsweise keine Festellungen zu der Geschwindigkeit des vom Angeklagten geführten Pkw oder zu den näheren Straßenverhältnissen (Lage der Einfahrt, Fahrtrichtungen, sonstiges Verkehrsaufkommen), die eine Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten und dessen Abkommen von der Fahrbahn sowie dem späteren Unfallgeschehen - unter Ausschluss anderer denkmöglicher Ursachen (z.B. technischer Defekt, Ausweichmanöver) - ermöglichen.

b. Der Umstand der konkreten Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert bedarf ebenfalls ergänzender Feststellungen.

Bei der Prüfung, ob einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, sind stets zwei durch entsprechende Feststellungen gestützte Prüfungsschritte erforderlich: Zunächst ist zu klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelte. Dies kann etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein. Handelte es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 289 m.w.N.). Weder teilt das Urteil indes die Höhe des entstandenen Sachschadens mit, noch enthält es Angaben dazu, ob das Fahrzeug der Geschädigten zum Unfallzeitpunkt einen "bedeutenden Wert" hatte (vgl. BGH NStZ 2010, 216 f.; zur Wertgrenze auch Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage [2014], Vorbem. §§ 306 ff. Rdnr. 15).

c. Dass infolge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit Leib oder Leben von Mitinsassen des durch den Angeklagten geführten Pkw konkret gefährdet worden wären, lässt sich den Feststellungen ebenso nicht entnehmen, zumal Entsprechendes nicht allein aufgrund der abstrakten Gefährdung bei absoluter Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführers anzunehmen ist (vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage [2016], § 315c Rdnr. 15b m.w.N.).

3. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a. Das angefochtene Urteil ist insoweit lückenhaft, als es keine Feststellungen zur Schuldform e...

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