Rz. 290

Umstritten ist, in welchen Fällen der Arbeitgeber ein qualifiziertes Zeugnis widerrufen und zurückverlangen kann. Z.T. wird angenommen, der Arbeitgeber könne dies dann tun, wenn er sich über den Inhalt des Zeugnisses "geirrt" habe. Das Wort "Irrtum" verbindet man sofort mit "Anfechtung". Da es sich um eine Wissens- und keine Willenserklärung handelt, kann der Arbeitgeber die Zeugniserteilung widerrufen, und zwar verbunden mit dem Anspruch auf Rückgabe Zug-um-Zug gegen Erteilung des neuen Zeugnisses. Der Widerruf ist vollzogen, sobald er dem Arbeitnehmer zugeht. Das Recht auf Widerruf und der Anspruch auf Herausverlangen des Zeugnisses folgen aus der nachwirkenden Treuepflicht des Arbeitnehmers. Sie verbietet diesem, unrichtige Zeugnisse bei Dritten vorzulegen, und gebietet ihm, sie wieder herauszugeben, um so den Arbeitgeber vor möglichen Schadensersatzansprüchen zu bewahren. Ein Widerruf entfällt, wenn der Arbeitgeber durch Vergleich oder Urteil zu einer bestimmten Formulierung verpflichtet ist (Berscheid, WPrax 1994, 6, 10). Eine Anfechtung des Zeugnisinhalts kommt nicht in Betracht, vgl. ErfK/Müller-Glöge, § 109 GewO Rn 56.

aa) Zeitpunkt des Widerrufs

 

Rz. 291

Der Widerruf muss schon im Eigeninteresse des Arbeitgebers unverzüglich nach Kenntnis der Unrichtigkeit erfolgen, um Schadensersatzansprüche zu vermeiden. Es wird angenommen, dass das Recht zum Widerruf der Verwirkung in gleicher Weise unterliege wie (umgekehrt) das Recht des Arbeitnehmers auf Zeugniserteilung (ArbG Passau v. 15.10.1990 –2 Ca 354/90 D, BB 1991, 350). Diese Parallele überzeugt deshalb nicht, weil es beim Widerruf in erster Linie um den Schutz Dritter geht. Wendet man dennoch die Grundsätze der Verwirkung auf den Zeugniswiderruf an, dann ist der maßgebliche Zeitpunkt für den Fristbeginn nicht die Erteilung des ursprünglichen Zeugnisses, sondern die Kenntnis von seiner Unrichtigkeit. Der Widerruf entfällt aber, wenn das unrichtige Zeugnis zeitlich so lange zurückliegt, dass es keine maßgebliche Bedeutung für künftige Arbeitgeber oder mögliche Kreditgeber mehr haben kann.

bb) Voraussetzungen des Widerrufs

 

Rz. 292

Der Arbeitgeber hat das Recht, ein Zwischenzeugnis schon dann zurückzuverlangen, wenn durch das Verhalten des Arbeitnehmers nach Ausstellung des Zeugnisses die Verhaltensbeurteilung nicht mehr den Tatsachen entspricht oder sich die Leistungsbeurteilung wegen nachhaltiger Mängel bzgl. Arbeitsbereitschaft, -befähigung, -weise, -vermögen oder -erfolg geändert hat (LAG Hamm v. 1.12.1994, LAGE § 630 BGB Nr. 25).

 

Rz. 293

Bei einem Schlusszeugnis besteht ein Widerrufsrecht dagegen nur mit Einschränkungen: Der Widerruf kommt lediglich dann in Betracht, wenn das Zeugnis (grobe) Unrichtigkeiten schwerwiegender Art enthält, die die Verlässlichkeit des Zeugnisses in ihrem Kern berühren (BGH v. 15.5.1979, AP Nr. 13 zu § 630 BGB = LM Nr. 82 zu § 278 BGB m. Anm. Dunz = EzA § 630 BGB Nr. 10). Nur wenn das unrichtige Zeugnis ein unzutreffendes Gesamtbild von Art und Dauer, Führung und Leistung abgibt, welches geeignet ist, die Haftung des Ausstellers aus unrichtigem Zeugnis zu begründen, kann es widerrufen werden.

 

Rz. 294

Dies wird z.B. der Fall sein, wenn einem Handlungsgehilfen Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit bescheinigt wurden und sich später herausstellt, dass er Diebstähle oder Unterschlagungen zulasten des Arbeitgebers begangen hat. Im Fall des Nichtwiderrufes würde sich der Arbeitgeber in einem solchen Fall schadensersatzpflichtig machen (vgl. dazu OLG Hamburg v. 14.12.1954 – 1 U 212/54, NJW 1956, 348 m. Anm. Neumann-Duesberg; BGH v. 26.11.1963, AP Nr. 10 zu § 826 BGB; BGH v. 22.9.1970, AP Nr. 16 zu § 826 BGB). Dies gilt auch für den Fall der Unrichtigkeit des Ausscheidungszeitpunktes bei Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses und dann, wenn sich während dieser Zeit neue Gesichtspunkte zur Beurteilung des Arbeitnehmers ergeben (BAG v. 27.2.1987, AP Nr. 16 zu § 630 BGB m. Anm. van Venrooy = EzA § 630 BGB Nr. 11).

 

Rz. 295

Der Widerruf eines Zeugnisses ist also in den Fällen möglich, in denen eine weit über den Rahmen des Vertretbaren hinausgehende günstige Bewertung des Arbeitnehmers vorgenommen wurde, die sich nachträglich als falsch erweist, für einen anderen Arbeitgeber aber von ausschlaggebender Bedeutung für den Entschluss ist, den Bewerber einzustellen. Auch später bekannt gewordene sittliche Verfehlungen eines Ausbilders oder Erziehers, gegen den deshalb ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, rechtfertigen den Widerruf eines Zeugnisses, weil dieser Umstand in einem Zeugnis bei einem solchen Personenkreis nicht unerwähnt bleiben darf (BAG v. 5.8.1976, AP Nr. 10 zu § 630 BGB m. Anm. Schnorr von Carolsfeld = EzA § 630 BGB Nr. 8).

 

Rz. 296

Es ist umstritten, ob der Widerruf eines Zeugnisses nur wegen tatsächlicher Unrichtigkeiten möglich ist oder auch bei falschen Wertungen erfolgen kann. Haben die tatsächlichen Unrichtigkeiten zu unzutreffenden Beurteilungen geführt und sind diese so gravierend, dass sie zu einer Haftung aus falschem Zeugnis führen können, ist ein Widerr...

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