Rz. 114

Vertritt der Rechtsanwalt einen Auftraggeber in

einem Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder, wenn die Parteien den Einigungsversuch einvernehmlich unternehmen, vor einer Gütestelle, die Streitbeilegung betreibt (§ 15a Abs. 3 EGZPO),
einem Verfahren vor einem Ausschuss der in § 111 Abs. 2 ArbGG bezeichneten Art,
einem Verfahren vor dem Seemannsamt zur vorläufigen Entscheidung von Arbeitssachen oder
Verfahren vor sonstigen gesetzlich eingerichteten Einigungsstellen, Gütestellen oder Schiedsstellen,

erhält der Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2303 VV RVG in Höhe von 1,5. Hier wird die Geschäftsgebühr nicht als Rahmengebühr angegeben, sondern mit einem festen Satz.

 

Rz. 115

Vorbemerkung 2.3 Abs. 6 VV RVG regelt die Anrechnungsvorschrift zu Nr. 2303 VV RVG:

 

Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Nummer 2300 entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf eine Geschäftsgebühr nach Nummer 2303 angerechnet. Absatz 4 Satz 4 gilt entsprechend.

 

Rz. 116

 

Beispiel

Rechtsanwalt Gernefroh vertritt außergerichtlich seinen Mandanten Hartmut. Der Gegenstandswert beträgt 5.000,00 EUR. Es handelt sich um eine durchschnittliche Angelegenheit, die jedoch besonders umfangreich war. Die Parteien beantragen schließlich eine außergerichtliche Streitbeilegung bei einer Gütestelle. Mandant Hartmut wird von Rechtsanwalt Gernefroh auch in diesem Güteverfahren vertreten. Das Güteverfahren scheitert. Es wird Klage eingereicht. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG wird als Mittelgebühr mit 1,5 angesetzt, da die Sache überdurchschnittlich umfangreich war.

Gegenstandswert: 5.000,00 EUR, § 2 Abs. 1 RVG

1. Abrechnung der außergerichtlichen Tätigkeit

 
1,5 Geschäftsgebühr  
(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 RVG) Nr. 2300 VV RVG 454,50 EUR
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 474,50 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 90,16 EUR
Summe 564,66 EUR

2. Abrechnung des Güteverfahrens

 
1,5 Geschäftsgebühr  
(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 RVG) Nr. 2303 VV RVG 454,50 EUR
abzgl. 0,75 Geschäftsgebühr Nr. 2300, Vorbem. 2.3. Abs. 6 VV RVG ./. 227,25 EUR
   
Zwischensumme 227,25 EUR
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 247,25 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 46,98 EUR
Summe 294,23 EUR

Abrechnung des gerichtlichen Verfahrens:

 
Gegenstandswert: 5.000,00 EUR, § 2 Abs. 1 RVG  
1,3 Verfahrensgebühr  
(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1 RVG) Nr. 3100 VV RVG 393,90 EUR
abzüglich 0,75 Geschäftsgebühr aus 5.000,00 EUR  
(Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1, 3 u. 5, Nr. 2303 VV RVG) ./. 227,25 EUR
Zwischensumme 166,65 EUR
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 186,65 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 35,46 EUR
Summe 222,11 EUR
 

Rz. 117

 

Büromäßige Behandlung:

Die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG mit einem Satzrahmen von 0,5 bis 2,5 bietet einen großen Ermessensspielraum. Die Gebühr ist, wie alle Rahmengebühren, unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien zu bestimmen. Als Besonderheit ist jedoch in der Anmerkung zur Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG geregelt, dass der Rechtsanwalt eine Gebühr von mehr als 1,3 nur fordern kann, wenn seine Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Dies bedeutet, dass beispielsweise das in § 14 Abs. 1 RVG enthaltene Kriterium "Bedeutung für den Auftraggeber" bei der Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG über 1,3 keine Rolle spielt. Der Mandant sollte darauf hingewiesen werden, dass die Geschäftsgebühr in Höhe von maximal 0,75 anzurechnen ist und somit bei einer nachfolgenden Klage auch bei vollem Obsiegen möglicherweise nicht die volle Verfahrensgebühr vom Gegner zu erstatten ist. Der Anwalt sollte prüfen, ob er einen etwaigen Erstattungsanspruch als weiteren Klageantrag bzw. im Mahnverfahren frühzeitig mit geltend macht.

 

Rz. 118

Die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG fällt auch in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten an. Hier können sogar zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten vorliegen, wenn der Anwalt sowohl im Verwaltungsverfahren selbst als auch im Verwaltungsverfahren, das der Nachprüfung des Verwaltungsakts dient, tätig wird. Da es sich dann um zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten handelt, entsteht auch die Auslagenpauschale zweimal. Die notwendige Anrechnung der Geschäftsgebühr des Verwaltungsverfahrens auf die Geschäftsgebühr des Nachprüfungsverfahrens ist in Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 VV RVG geregelt. Geht die Angelegenheit in ein gerichtliches Verfahren über, so wird die zuletzt entstandene Geschäftsgebühr gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ebenfalls zur Hälfe, max. mit einem Satz von 0,75 angerechnet.

 

Rz. 119

In sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen Gebühren nicht nach dem Gegenstandswert berechnet werden sondern vielmehr Betragsrahmengebühren, entsteht eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG in Höhe von 50,00 EUR bis 640,00 EUR. Die der 1,3 Geschäftsgebühr hier entspreche...

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