Rz. 195

Die Mehrzahl der krankheitsbedingten Kündigungen, die von den ArbGen zu prüfen sind, stellen Kündigungen wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen dar. Der Grund hierfür besteht darin, dass sich Kurzzeiterkrankungen i.d.R. auf den Betrieb in sehr viel größerem Maße auswirken als Langzeiterkrankungen. Kündigungsgrund ist dabei – wie im Fall einer lang andauernden Erkrankung – nicht die Erkrankung als solche, sondern die negative Gesundheitsprognose und eine daraus resultierende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 17). Sie kann sowohl auf einer einheitlichen Krankheitsursache als auch auf unterschiedlichen prognosefähigen Erkrankungen beruhen (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 17). Die verschiedenen Erkrankungen können den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 17; BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, Rn 24 f.). Auch die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 19). Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (erste Stufe) (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 19). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 19). Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen (zweite Stufe) (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 19). Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe) (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 19; BAG v. 23. 1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 27, BAGE 147, 162).

 

Rz. 196

Bei einer außerordentlichen Kündigung in Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis beispielsweise tarifvertraglich nicht ordentlich unkündbar ist, ist dieser Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 20; vgl. hierzu im Einzelnen unten Rdn 213; im Hinblick auf Langzeiterkrankungen auch oben Rdn 190). Die prognostizierten Fehlzeiten (erste Stufe) und die sich aus ihnen ergebenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen (zweite Stufe) müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermöchte (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 20). Der Leistungsaustausch muss zwar nicht komplett entfallen, aber schwer gestört sein. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 20). Gegebenenfalls ist im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung (dritte Stufe) zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber auf Dauer zuzumuten ist (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 20; BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 28, BAGE 147, 162).

aa) Negative Gesundheitsprognose

 

Rz. 197

Im Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang begründen (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 27; BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655). Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 27). Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 23; BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 32, BAGE 147, 162). Ist eine Arbeitnehmervertretung gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 23). Da es hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose allein auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankommt, können neue Umstände, die sich auf die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes auswirken, jedoch erst nach Zugang der Kündigung eintreten, nicht mehr berücksichtigt werden (BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Infolgedessen sind etwa ein späterer Arztwechsel, der Beginn einer neuen Therapie, die Einnahme eines neuen Medikamentes oder die Durchführung einer vom Arbeitnehmer zunächst abgelehnten Operation sowie eine spätere Änderung der Lebensführung des Arbeitnehmers unerheblich.

 

Rz. 198

Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Ve...

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