Rz. 5

Selten hat eine verfassungsgerichtliche Entscheidung im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren so viel Aufmerksamkeit erregt wie im Jahr 2009 der Beschl. des BVerfG vom 11.8.2009 in der Sache 2 BvR 941/08 (BVerfG, NJW 2009, 3293 = zfs 2009, 589; dazu auch noch den Beschl. v. 5.7.2010 – 2 BvR 759/10, NJW 2010, 2717 = DAR 2010, 508, und den v. 12.8.2010 – 2 BvR 1447/10, DAR 2010, 574). In der Entscheidung v. 11.8.2009 hat das BVerfG (a.a.O.) nämlich zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Videomessungen im Straßenverkehr Stellung genommen, nachdem es bereits in anderen Verfahren Videoüberwachungsmaßnahmen überprüft und beanstandet hatte (vgl. u.a. BVerfGE 120, 378 = NJW 2008, 1505).

 

Hinweis

Nach der Entscheidung des BVerfG v. 11.8.2009 (a.a.O.) hat sich die Praxis in erheblichem Umfang vor allem mit den (verfassungs-)rechtlichen Fragen der Geschwindigkeitsmessung-/Überwachung beschäftigt. Inzwischen haben die Fragen aber schon seit längerem nicht mehr die praktische Bedeutung, die sie in der ersten Zeit nach der Entscheidung des BVerfG v. 11.8.2009 hatten (zu den Rechtsgrundlagen der staatlichen Verkehrsüberwachung noch einmal Müller, NZV 2016, 254). Vereinzelt gibt es aber immer wieder noch Entscheidungen, die sich mit den Fragen befassen (müssen) (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 2.7.2019 – 1 OLG 107 SsBs 161/18 und OLG Köln, zfs 2017, 294 = VA 2017, 11). Hinzu kommt, dass die Fragen ggf. auch – wieder/noch einmal – bei "Nachfolgemessverfahren" eine Rolle spielen können (dazu OLG Bamberg, VM 2015 Nr. 65 für "VKS select").

Daher sollen die mit dieser Rechtsprechung zusammenhängenden Probleme hier auch noch in einem Überblick dargestellt werden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Voraufl. § 3 Rn 5 ff. verwiesen. Das gilt insbesondere auch für die Rechtsprechung der OLG, die in der Voraufl. (s. § 3 Rn 20) in einer Tabelle zusammengestellt war (dazu auch noch Burhoff/Gieg/Krenberger, Rn 650).

Allgemein gilt: Der Verteidiger muss sich – unbeschadet seiner Kritik an der obergerichtlichen Rechtsprechung – mit dieser abfinden und seine Verteidigungsstrategie darauf einstellen (dazu Rdn 11). Es bringt dem Mandanten nichts, ohne dass nicht ausnahmsweise konkrete und eindeutige Anhaltspunkte auf eine vom Normalen ab­weichende Messpraxis hinweisen, die den Schluss zulassen, das Verfahren sei tatsächlich nicht verdachtsabhängig und folglich auch nicht anlassbezogen durchgeführt worden, die Unzulässigkeit/Unverwertbarkeit der Messung zu rügen (s. auch Burhoff/Gieg/Krenberger, OWi, Rn 646).

 

Rz. 6

In der der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 941/08 (BVerfG, NJW 2009, 3293 = zfs 2009, 589) zugrunde liegenden tatrichterlichen Entscheidung des AG ­Güstrow hatte dieses der Verurteilung des Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung das Ergebnis einer Videoüberwachung mit dem Verkehrskontrollsystem Typ VKS zugrunde gelegt (vgl. zu dessen Arbeitsweise § 1 Rdn 356 ff. und Burhoff/D. Schäfer/Eichler/Pichler, OWi, Rn 115 [Abstand] u. Burhoff/H.-P.Grün/M. Grün/Pichler, OWi, Rn 2225 ff.). Diese war von einer Autobahnbrücke durchgeführt worden. Im Rahmen dieser Maßnahme wurden alle durchfahrenden Fahrzeuge verdeckt gefilmt. Auf dem Film war der jeweilige Fahrer erkennbar und identifizierbar. Eine vorherige Auswahl dahingehend, ob der jeweilige Fahrer eines Verkehrsverstoßes verdächtig war, fand nicht statt. Die Maßnahme wurde von der Verkehrsbehörde auf einen Erlass des Wirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommern zur Überwachung des Sicherheitsabstandes nach § 4 StVO vom 1.7.1999 gestützt.

 

Rz. 7

Das BVerfG (NJW 2009, 3293 = zfs 2009, 589) hat in seiner Entscheidung zunächst noch einmal zum Schutzbereich des sog. Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Stellung genommen und festgelegt, auf welcher Grundlage in dieses Recht eingegriffen werden darf (dazu auch BVerfGE 122, 342 = NJW 2009, 1481 zum bayerischen Versammlungsgesetz; zur automatisierten Kennzeichenerfassung BVerfGE 120, 378 = NJW 2008, 1505; zur Videoüberwachung in BVerfGK 10, 330, 336 f. = NJW 2007, 2320 [Ls.]; zum Beschl. v. 11.8.2009 auch Burhoff/Gieg/Krenberger, OWi, Rn 640 ff.). Es ist davon ausgegangen, dass die mittels einer Videoaufzeichnung vorgenommene Geschwindigkeitsmessung eine Erhebung persönlicher Daten und damit einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt (vgl. BVerfGE 120, 378 = NJW 2008, 1505; wegen weiterer Einzelh. Voraufl. § 3 Rn 7 ff.).

 

Rz. 8

Auf der Grundlage hat das BVerfG (NJW 2009, 3293 = zfs 2009, 589) die Rechtsauffassung des OLG Rostock, die mittels einer Videoaufzeichnung vorgenommene Geschwindigkeitsmessung könne auf einen Erlass eines Ministeriums gestützt werden, für unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar und daher willkürlich gehalten. Es handele sich bei dem Erlass nur um eine Verwaltungsvorschrift und damit um eine verwaltungsinterne Anweisung. Derartige Regelungen, durch die eine vorgesetzte Behörde etwa auf ein einheitliches Verfahren oder eine einheitliche Gesetzesanwen...

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