Rz. 66

In der Rechtsprechung ist die Tendenz zu erkennen, die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen noch weiter zurückzuschrauben, und zwar dann, wenn ein Geständnis des Betroffenen vorliegt (auch Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2154 ff.; zu allem a. Grube, DAR 2013, 601 ff.). Ob und inwieweit das zulässig ist, ist allerdings umstritten:

Nach einer Auffassung ist das amtsrichterliche Urteil nicht lückenhaft, wenn es zwar keine Angaben zu dem vorgenommenen Toleranzabzug enthält, aber ein Geständnis des Betroffenen vorliegt oder der Betroffene nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die gefahrene Geschwindigkeit eingeräumt hat (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 2005, 54; vgl. aber VRR 2007, 35 = zfs 2007, 113 = VRS 111, 427; OLG ­Koblenz, VA 2013, 67 = NZV 2013, 202 = DAR 2013, 218 [allerdings ohne nähere Begründung]; OLG Köln, NZV 2003, 100 und dazu Niehaus, NZV 2003, 409; OLG Saarbrücken, VRS 110, 433 = VRR 2006, 356; auch OLG Hamm [3. Senat für Bußgeldsachen], VA 2004, 121 [Ls.]; VA 2011, 101 = VRR 2011, 433; 2006, 35; NStZ-RR 2008, 355 für Abstandsmessung; vgl. a. noch KG, Beschl. v. 29.9.2017 – 3 Ws (B) 237/17 zu den Feststellungen nach Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe der Geldbuße).
Nach anderer Auffassung ist das Urteil hingegen lückenhaft (OLG Bamberg, VRR 2006, 469; DAR 2009, 655 = VRR 2010, 34 = VA 2009, 212 [Abstand]; DAR 2012, 154 = VRR 2012, 148 = VA 2012, 83 [Abstand]; OLG Braunschweig, VA 2012, 174; OLG Celle, zfs 2009, 472; OLG Hamm, DAR 2004, 108 = NStZ 2004, 322; NZV 2002, 282 = zfs 2002, 404; auch Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2287 ff.; krit. abl. Cierniak, zfs 2012, 664, 679). Der 2. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm ist allerdings davon ausgegangen, dass die Angabe des Toleranzabzugs jedenfalls dann entbehrlich ist, wenn sich aus sonstigen Umständen ergibt, dass es sich bei der der ­Verurteilung zugrunde gelegten Geschwindigkeit bereits um die um einen Toleranzabzug verminderte Geschwindigkeit handelt (OLG Hamm, DAR 2004, 464 = VRS 107, 114).
 

Rz. 67

Im Zusammenhang mit der Frage nach den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen ist dann natürlich die (weitere) Frage von Bedeutung, ob der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung überhaupt zugegeben und ein Geständnis abgelegt hat (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081 m.w.N. auch zu a.A.; dazu auch OLG Jena, zfs 2004, 479; OLG Saarbrücken, VRS 110, 433 = VRR 2006, 356). An dieser Stelle werden in den tatrichterlichen Urteilen häufig Fehler gemacht.

 

Hinweis

Aus dem Urteil muss sich zunächst ergeben, dass der Betroffene überhaupt Angaben zur Sache gemacht hat (st.Rspr., u.a. KG, Beschl. v. 28.1.2021 – 3 Ws (B) 18/21; OLG Bamberg, DAR 2009, 655 [Ls.] = VA 2009, 212 = VRR 2010, 34; DAR 2017, 383; OLG Celle, VA 2010, 192 = VRR 2010, 432 = NZV 2011, 411 [L]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2020 – IV-4 RBs 46/20, VA 2020, 199; OLG Hamm, Beschl. v. 26.5.2008 – 3 Ss OWi 793/07; OLG Jena, zfs 2004, 479; OLG Karlsruhe, VA 2016, 209 = VRR 12/2016, 17; OLG Köln, DAR 2011, 150 = NZV 2011, 513 [L] = VA 2011, 51 für Trunkenheitsfahrt).

 

Rz. 68

Es wird nämlich häufig übersehen, dass nicht jede "geständige" Einlassung des Betroffenen als "Geständnis" im technischen Sinn zu verstehen ist. Der Begriff des Geständnisses kann im Einzelfall unterschiedliche Bedeutung haben (dazu auch OLG Bamberg, VRR 2006, 469; OLG Saarbrücken, VRS 110, 433 = VRR 2006, 356). OWi-Recht und StPO enthalten auch weder eine Definition des Geständnisses noch geben sie Hinweise darauf, in welchem Umfang das vom Betroffenen bzw. Angeklagten Zugestandene zu berücksichtigen ist. Es gilt auch insoweit der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung aus § 261 StPO. Das bedeutet, dass der Tatrichter die Verurteilung auf eine Einlassung des Betroffenen nur stützen darf, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. u.a. BGH, StV 1987, 378; vgl. u.a. OLG Hamm, VA 2006, 16; krit. zur h.M. Grube, DAR 2013, 601 ff.).

 

Hinweis

Erforderlich ist ein uneingeschränktes und glaubhaftes Geständnis (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081; dazu eingehend Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2287 ff.; OLG Bamberg, zfs 2007, 291 = NStZ-RR 2007, 321; VRR 2009, 323 [Ls.] = zfs 2009, 594 = VA 2009, 157 (Ls.); OLG Braunschweig, VA 2012, 174; OLG Frankfurt am Main, VA 2009, 157 [Ls.] = DAR 2009, 469; OLG Hamm VRR 2011, 433 = VA 2011, 101; dazu Cierniak, zfs 2012, 664, 679; Grube, DAR 2013, 601). In den Urteilsgründen ist dann auch nicht nur die Einlassung des Betroffenen mitzuteilen, sondern es sind auch Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen der Amtsrichter von der Richtigkeit der Einlassung des Betroffenen überzeugt ist (OLG Hamm, VA 2006, 16; auch OLG Hamm, VRR 2011, 433 = VA 2011, 101).

Der Verteidiger muss immer auch prüfen, ob der Betroffene eine "Geschwindigkeitsüberschreitung" uneingeschränkt gestanden hat. Hat er z.B. nur den Messwert nicht bestritten und eingeräumt, ist das kein Geständnis im eigentlichen Sinne (OLG Jena, NJW 2006, 1075 = DAR 2006, 163 = VRS 110, 45; ähnlich OLG Bamberg, VRR...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge