Rz. 147

Der Weiterbeschäftigungsanspruch setzt nach § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG zunächst voraus, dass der Betriebsrat der Kündigung ordnungsgemäß innerhalb der vorgeschriebenen Frist widersprochen hat. Der Beschluss des Betriebsrates muss nach § 33 BetrVG ordnungsgemäß gefasst worden sein und den Voraussetzungen des § 102 Abs. 3 BetrVG entsprechen. Das Gesetz verlangt für die Entstehung des Weiterbeschäftigungsanspruchs somit nicht einen schlüssigen oder begründeten Widerspruch, sondern nur einen ordnungsgemäßen Widerspruch.

 

Rz. 148

Weiter ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer Klage nach dem KSchG erhoben hat. Dies setzt voraus, dass der betroffene Arbeitnehmer nach Maßgabe der §§ 1, 23 KSchG dem Schutz des KSchG unterfällt; er muss also mehr als sechs Monate im Betrieb beschäftigt sein und es darf sich nicht um einen Kleinbetrieb i.S.v. § 23 KSchG handeln. Der Arbeitnehmer muss zumindest auch die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung geltend machen. Bei Klagerücknahme entfällt der Weiterbeschäftigungsanspruch. Auch bei Stellung eines Antrages auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG findet § 102 Abs. 5 BetrVG keine Anwendung, da der Arbeitnehmer hiermit dokumentiert, dass er an der Weiterbeschäftigung nicht interessiert ist (DKKW/Kittner, BetrVG, § 102 Rn 256). Bei verspäteter Klageeinreichung besteht der Anspruch auf Weiterbeschäftigung erst mit Rechtskraft des Beschlusses des ArbG nach § 5 KSchG (KR/Etzel, § 102 BetrVG Rn 207, Ascheid/Preis/Schmidt/Koch, § 102 BetrVG Rn 205; Schaub, § 125 Rn 4; a.A. DKKW/Kittner, BetrVG, § 102 Rn 258; Fitting, BetrVG, § 102 Rn 109).

 

Rz. 149

Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung hat auf den Weiterbeschäftigungsanspruch keinen Einfluss (Fitting, BetrVG, § 102 Rn 103; Boewer, NZA 1988, 1). Der Beschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG ist davon unabhängig. Der Arbeitnehmer hat bis zum Ablauf der Kündigungsfrist aufgrund seines Arbeitsvertrages einen Beschäftigungsanspruch, soweit dem nicht überwiegende schwerwiegende Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen (BAG v. 19.8.1976, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Obsiegt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess, besteht das bisherige Arbeitsverhältnis nahtlos fort. Unterliegt der Arbeitnehmer im Prozess, so bestand vom Ablauf der Kündigungsfrist an ein besonderes gesetzliches, durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage bedingtes Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Vertragsinhalt (Fitting, § 102 BetrVG Rn 103; a.A. BAG v. 12.9.1985, AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung – faktisches Arbeitsverhältnis; a.A. Richardi/Thüsing, § 102 BetrVG Rn 204 – Fortbestehen des bisherigen Arbeitsverhältnisses).

 

Rz. 150

Erforderlich ist schließlich das Verlangen des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung. Notwendig ist eine hinreichend deutliche Erklärung des Arbeitnehmers oder seines Bevollmächtigten, während des Kündigungsschutzprozesses weiterbeschäftigt werden zu wollen. Der Antrag ist formlos möglich und kann auch mündlich gestellt werden (GK-BetrVG/Raab, Rn 175). In der Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder dem Angebot der Arbeitsleistung liegt jedoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig kein Weiterbeschäftigungsverlagen i.S.d. § 102 Abs. 5 BetrVG (GK-BetrVG/Raab, Rn 175; a.A. Richardi/Thüsing, Rn 220, nach dessen Auffassung im Arbeitsangebot gleichzeitig das Weiterbeschäftigungsverlangen zu sehen ist).

 

Rz. 151

Das Gesetz sieht keine Frist vor, innerhalb derer die Weiterbeschäftigung zu verlangen ist. Die ältere Rspr. des BAG (v. 31.8.1978, AP BetrVG 1972, § 102, Weiterbeschäftigung Nr. 1) ging davon aus, dass die zeitliche Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsverlangens lediglich durch die Grundsätze der Verwirkung begrenzt waren (so auch GK-BetrVG/Raab, Rn 176). Das BAG (v. 17.6.1999, NZA 1999, 1154) hat diese Frage hingegen offengelassen und angedeutet, dass die Entscheidung des BAG v. 31.8.1978 (AP BetrVG 1972, § 102 Weiterbeschäftigung Nr. 1) zu weit gehe, da diese sich nicht ausreichend an Wortlaut und Sinn des Gesetzes orientiere.

 

Rz. 152

Nach der Gegenmeinung muss der Arbeitnehmer sein Weiterbeschäftigungsverlangen unverzüglich nach Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (Widerspruch und Klageerhebung), spätestens aber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geltend machen (LAG München v. 17.12.2003, NZA-RR 2005, 312; LAG Hamm v. 28.4.1976, DB 1976, 1917; KR/Etzel, Rn 209; Ascheid/Preis/Schmidt/Koch, § 102 BetrVG Rn 207).

 

Rz. 153

Der letztgenannten Auffassung ist zu folgen. Nach der gesetzlichen Konzeption hat der Arbeitnehmer ein Wahlrecht, ob er neben der Kündigungsschutzklage zusätzlich seine Weiterbeschäftigung verlangt. Aus dem Wort "weiterbeschäftigen" folgt regelmäßig eine Beschäftigung im unmittelbaren Anschluss an die auslaufende Kündigungsfrist. Diese Beschäftigung will § 102 Abs. 5 BetrVG sichern, damit der Arbeitnehmer dem Betrieb nicht entfremdet wird und andererseits auch der Arbeitgeber möglichst bald disponieren kann.

 

Rz. 154

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