Rz. 64

Angesichts der Unvollkommenheit von Immobilienmärkten (siehe Rdn 5) sind die Voraussetzung für die Anwendung des "idealen" Vergleichswertverfahrens (siehe Rdn 59) häufig nicht gegeben. Denn der für ein bestimmtes Wertermittlungsobjekt und einen gegebenen Wertermittlungsstichtag sachlich, räumlich und zeitlich relevante Teilmarkt (Kaufmarkt) weist eher selten eine ausreichende Anzahl an verwertbaren Transaktionen auf. Vor allem die extrem ausgeprägte Heterogenität von Immobilien erschwert eine (unmittelbare) Vergleichbarkeit. In diesen Fällen ist es notwendig einen mittelbaren Vergleich anzustrengen, bei dem die Gepflogenheiten des Marktes, soweit sie die Preisbildung betreffen, modellhaft nachzuvollziehen sind und eigentlich heterogene Vergleichsobjekte gleichnamig gemacht werden.

In den Teilmärkten, in denen Anlageimmobilien gehandelt werden, sind die Gepflogenheiten erkennbar geprägt von der maßgeblichen Nutzenerwartung der Marktteilnehmer, Erträge aus dem Grundstück zu ziehen.

 

Rz. 65

Das (eingleisige vereinfachte) Ertragswertverfahren modelliert die Preisbildung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr als den Barwert aller zukünftigen (Rein-)Erträge zuzüglich des diskontierten Bodenwerts. Die zur marktkonformen Kapitalisierung (Barwert) und Diskontierung (idealerweise) aus tatsächlichen Kauffällen abgeleiteten (Liegenschafts-)Zinssätze reflektieren nicht nur die implizierten Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der künftigen Entwicklungen der Wertverhältnisse sowohl auf dem relevanten Vermietungs- als auch Investmentmarkt, sondern sie spiegeln auch die Marktbewertung der mit den Erträgen verbundenen Risiken wider. Die in der ImmoWertV normierten Modellvarianten des Ertragswertverfahrens berücksichtigen im Übrigen explizit die anzunehmende wirtschaftliche Restnutzungsdauer baulicher Anlagen.

 

Rz. 66

Von zentraler Bedeutung für das Ertragswertverfahren ist die spezifische Ertragsfähigkeit des Wertermittlungsobjektes, die nach dem auf dem Vermietungsmarkt üblichen (effektiven) Mietpreis für vergleichbare Mietflächen zu bestimmen ist. Mit anderen Worten: der Mietwert wird wiederum im Vergleichswertverfahren ermittelt.

Insofern das Verhältnis aus gezahlten Kaufpreisen zu Erträgen, also die Marktrendite (Liegenschaftszinssatz) als Vergleichsbasis herangezogen wird, ist das Ertragswertverfahren im Kern auch ein mittelbares Vergleichswertverfahren.

 

Rz. 67

Voraussetzung für eine marktorientierte Anwendung des Ertragswertverfahrens sind eine ausreichende Anzahl an Kauffällen und ein entsprechender Vermietungsmarkt. Unerheblich ist, ob das Wertermittlungsobjekt eigengenutzt ist, solange eine Drittverwendungsfähigkeit auf dem Vermietungsmarkt grundsätzlich anzunehmen ist.

Da sich die Gepflogenheiten in bestimmten Teilmärkten im Zeitablauf ändern können, kommt heutzutage die Anwendung des Ertragswertverfahrens auch bei solchen Arten von Wertermittlungsobjekten in Betracht, bei denen dies traditionell nicht praktiziert wurde, wie bspw. bei Lager- und teilweise auch Produktionsliegenschaften.

 

Rz. 68

Typischerweise wird das Ertragswertverfahren bei Mehrfamilienhäusern, Büro-, Handels- und Logistik- sowie klassischen Betreiberimmobilien[37] angewendet.

[37] Zum Beispiel Pflegeheime und Hotels, wobei zur Ermittlung der marktüblichen Erträge i.d.R. die Variante des sog. Pachtwertverfahrens zum Einsatz kommt.

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