Rz. 1

Grundbesitz macht oft einen erheblichen Anteil am Nachlass aus, so dass in der erbrechtlichen Beratungspraxis regelmäßig Fragen auch zu dessen betragsmäßigem Wert aufkommen.

Wenngleich dringend anzuraten ist, mit der eigentlichen Wertermittlung einen Sachverständigen mit einschlägiger Expertise im räumlichen und sachlichen Immobilienteilmarkt zu betrauen, so ist bei einer Vielzahl von erbrechtlichen Mandaten ein Grundverständnis von Immobilienbewertungen und dem Sachverständigenwesen auch auf Seiten des Anwalts zweifellos von Vorteil.

Zitat

"Ein Markt- oder Verkehrswert bildet sich im Wesentlichen aus Angebot und Nachfrage am Markt. Maßgebend für die Wertermittlung sind daher nicht Verordnungen, Richtlinien und Methodik der Wertermittlungsverfahren, sondern vor allem deren marktorientierte Anwendung. Diese erfordert in erster Linie Marktkenntnis sowie eine qualifizierte Ausbildung und Erfahrung des Wertermittlers."[1]

Erfolgt zeitnah zum Erbfall oder zu einer Erbauseinandersetzung eine Veräußerung von Grundvermögen aus dem Nachlass, so tritt mitunter ein konkreter Verkaufspreis neben andere Wertgrößen, was bei den Beteiligten zu Unsicherheit über den maßgeblichen Betrag, gewissermaßen den "wahren" Wert, führen kann. Dazu erkannte der BGH: "Der Preis einer Sache muss nicht ihrem Wert entsprechen"[2] und der Ökonom und Investor Benjamin Graham prägte den vielzitierten Satz: "Price is what you pay; value is what you get."

 

Rz. 2

Während in zivilrechtlichen Kontexten vielfach der Verkehrswert (Marktwert) eines Grundstückes i.S.d. § 194 BauGB relevant ist, ist der bei Erbschaft oder Schenkung steuerlich anzusetzende Wert einer Immobilie (sog. Grundbesitzwert) grundsätzlich nach dem Bewertungsgesetz (BewG) zu ermitteln. Nach der Öffnungsklausel des § 198 BewG kann aber auch der Verkehrswert maßgebend sein, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass dieser niedriger ist als der nach den Normen des BewG für die Erbschaftsteuer ermittelte Grundbesitzwert. Als Nachweis kann ein Gutachten oder ein zeitnah im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommener Kaufpreis dienen.

 

Praxishinweis

Mit dem Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz (GrStRefUG) hat der Gesetzgeber nun in den § 198 BewG hinzugefügten Absätzen 1 und 2 sowohl die Anforderungen an die fachliche Eignung des Gutachters als auch die Nachweisführung eines geringeren gemeinen Werts durch einen zeitnah zustande gekommenen Kaufpreis klargestellt und damit auf die diesbezügliche jahrelang umstrittene Rechtsprechung der Finanzgerichte reagiert.

Der Kreis der anzuerkennenden Gutachter beschränkt sich somit ausdrücklich nicht mehr auf den zuständigen Gutachterausschuss und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige.[3]

Für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes gilt grundsätzlich die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) und das Gutachten muss die gesamte wirtschaftliche Einheit (§ 2 BewG) zum Gegenstand haben; Einzelnachweise zu Grundlagen der Wertermittlung sind allenfalls über die übliche Miete zulässig.

Das Gutachten unterliegt allerdings der freien Beweiswürdigung des Finanzamtes bzw. der Finanzgerichtsbarkeit.

Die Gutachterkosten sind in jedem Fall vom Steuerpflichtigen zu tragen, u.U. aber steuerlich abzugsfähig bzw. den Nachlassverbindlichkeiten zuzurechnen.[4]

 

Rz. 3

Es ist also nicht nur zwischen Preis und Wert zu unterscheiden, sondern auch zu beachten, dass eine Immobilie i.d.R. mehrere Werte hat, bspw. einen Verkehrswert, einen Grundbesitzwert, einen Investitionswert und einen Beleihungswert, um nur einige prominente Wertbegriffe zu nennen. Gehört die Immobilie zu einem Betriebsvermögen, so treten noch Buchwerte nach bestimmten Rechnungslegungsnormen hinzu (z.B. der handelsrechtlich beizulegende Wert).

Im Folgenden sollen der Grundbesitzwert (gemeiner Wert) und der Verkehrswert (Marktwert) im Mittelpunkt stehen, da diese beiden sog. Bewertungsgrundlagen bei erbrechtlichen Mandaten regelmäßig die größte Bedeutung haben.

 

Rz. 4

Zu Beginn einer Immobilienbewertung muss zuvörderst festgestellt werden, was der Bewertungszweck und der Gegenstand der Wertermittlung sein soll. Je nach Bewertungszweck können unterschiedliche Normen und Wertbegriffe (Bewertungsgrundlagen[5]) für die Wertermittlung maßgeblich sein. Im Regelfall stichtagsbezogener Wertbegriffe ist ferner die Angabe des betreffenden Wertermittlungsstichtags essenziell.

Hingegen wird den in Deutschland normierten Verfahren zur Wertermittlung häufig eine übermäßig große Bedeutung beigemessen. Mitunter ist der Irrglaube anzutreffen, der Verkehrswert (Marktwert) hänge vom gewählten Verfahren ab.[6]

 

Rz. 5

Immanente Unschärfen der Verkehrswertermittlung sind in erster Linie den Besonderheiten von Immobilien und ihren Märkten geschuldet. Das Phänomen gewisser Wertstreuungen ist grundsätzlich weder den Verfahren noch den Sachverständigen anzulasten, sondern charakteristisch für den gewöhnlichen Geschäftsverkehr auf Immobilienmärkten.

Die Unschärfe des Marktes liegt an dessen Unvollkommenheit aufgrun...

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