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In der anwaltlichen Praxis erweist sich immer noch, dass kartellrechtliche Überlegungen häufig zu spät oder gar nicht angestellt werden. Die einschneidende Folge der zivilrechtlichen Nichtigkeit[17] kartellrechtswidriger Verträge (§ 1 GWB i.V.m. § 134 BGB; Art. 101 Abs. 2 AEUV i.V.m. Art. 6 VO 1/2003) bzw. die Unwirksamkeit eines ohne Anmeldung vollzogenen Zusammenschlusses (§ 41 Abs. 1 S. 2 GWB bzw. Art. 7 Abs. 4 VO 139/2004) führen nicht nur zu schwer lösbaren Problemen bei der Rückabwicklung; es handelt sich zudem jeweils um Ordnungswidrigkeiten, die auf nationaler und europäischer Ebene mit empfindlichen Bußgeldern belegt sind. Weiterhin drohen zivilrechtliche Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche (§ 33 Abs. 1 und 3 GWB) und/oder eine Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde im Verwaltungsverfahren (§ 34 GWB).

Bei kartellrechtlich relevanten Verträgen wie etwa marktrelevanten Abreden zwischen Wettbewerbern, Ausschließlichkeitsbindungen, Lizenz- und Know-how-Verträgen, Erfindungs- und Vermarktungsverträgen, Poolverträgen, Strategievereinbarungen sowie bei Zusammenschlussvorhaben einschließlich Gewinnabführungsverträgen, Unternehmenspachtverträgen, Herbeiführung von Personengleichheiten in den Organen etc. sollten daher kartellrechtliche Überlegungen am Anfang stehen.

In kritischen Fällen empfiehlt es sich ggf. auch, vor weitergehenden Verhandlungen, jedenfalls aber vor Vertragsunterzeichnung, die Sach- und Rechtslage informell dem Bundeskartellamt bzw. der Kommission zu unterbreiten und kritische kartellrechtliche Fragen und Probleme zu erörtern (sog. "informelles Vorsitzendenschreiben", § 32c Abs. 2 GWB). Die Unternehmen können dabei eine formelle Verfügung der deutschen Kartellbehörden anregen, dass für diese kein Anlass zum Tätigwerden besteht (§ 32c Abs. 1 GWB, Art. 5 S. 3 VO 1/2003; teilweise besteht ein Anspruch gem. § 32c Abs. 4 GWB auf Erlass einer solchen Verfügung). Auch die Kommission kann die Nichtanwendbarkeit von Art. 101 und 102 AEUV feststellen (Art. 10 VO 1/2003). Bei einem Zusammenschlussvorhaben kann die vorherige Befassung der Kartellbehörden letztlich zu einem Zeitgewinn durch schnellere Entscheidung nach der vollständigen Einreichung der Anmeldung führen.

Bei Unternehmenskaufverträgen empfiehlt es sich, nicht nur den Vollzug, sondern die Wirksamkeit des Vertrages als solchen unter die aufschiebende Bedingung der fusionskontrollrechtlichen Freigabe zu stellen, um späteren Schadensersatzansprüchen bei einer verzögerten Freigabe oder Untersagung des Zusammenschlusses vorzubeugen (zum Wortlaut solcher Klauseln vgl. das Kap. Unternehmenskauf in diesem Buch (§ 44 Rdn 21, dort § 12).

[17] Zumindest wird der Vertrag teilnichtig sein, soweit der kartellrechtswidrige Teil vom Rest getrennt werden kann, OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 661.

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