A. Interessenkollision und Parteiverrat des Rechtsanwalts bei Vertretung von Miterben

 

Rz. 1

Was nutzt das schönste, mühsam akquirierte Erbrechtsmandat, wenn der Rechtsanwalt im Laufe der Bearbeitung gezwungen ist, das Mandat niederzulegen und außerdem seinen Vergütungsanspruch verliert?

Gerade in erbrechtlichen Mandaten ist die Gefahr der Interessenkollision und dem daraus möglicherweise resultierenden strafbewehrten Parteiverrat erheblich. Gleichwohl ist in der Praxis eine erstaunliche Sorglosigkeit – oder auch Gedankenlosigkeit – zu erkennen, mit der zwei oder mehr Beteiligte einer erbrechtlichen Angelegenheit durch einen Anwalt beraten und vertreten werden.

 

Rz. 2

Der häufige Fall der Interessenkollision ist dabei nicht etwa der vermeintlich "klassische": Der vormalige Gegner wird gleichzeitig – möglicherweise von einem Sozius der Kanzlei – als Mandant vertreten. Diese Fälle sind in der anwaltlichen Praxis die Ausnahme. Häufig sind hingegen die Fälle "schleichender" Änderung der Interessen der Mandanten bis hin zum deutlichen Interessengegensatz der vormals "einigen" Miterben, Geschwister u.a.

Das Risiko ist hier nicht allein die Gefahr des Verlustes des Anspruches auf Zahlung der Vergütung (sowie der Verpflichtung der Rückzahlung bereits erhaltener Leistungen, vgl. hierzu nachfolgend Rdn 29), sondern gleichermaßen berufs- und strafrechtliche Konsequenzen (siehe hierzu Rdn 33).

 

Rz. 3

Nachfolgend wird die ausführliche Auseinandersetzung in Literatur und Rechtsprechung zur Reichweite des Verbots der Wahrnehmung widerstreitender Interessen ausschließlich aus der Sicht des Rechtsanwalts wiedergegeben betrachtet, der sich dem Ansinnen nach der Vertretung mehrerer Mitererben gegenübersieht. Manche hier erörterten Gesichtspunkte werden bei der Vertretung in anderen Rechtsgebieten anders, möglicherweise sogar entgegengesetzt zu beurteilen sein. Dies mag dort für den Einzelfall beurteilt werden, wird hier jedoch nicht erörtert.

I. Gesetzliche Grundlagen

 

Rz. 4

Um zu prüfen, ob ein Fall der Wahrnehmung widerstreitender Interessen vorliegt, wird der geneigte Rechtsanwalt mutmaßlich zunächst die BRAO und ergänzend die BORA heranziehen. Er wird fündig werden bei § 43a BRAO ("Grundpflichten"), dort im Abs. 4[1] sowie § 3 BORA ("Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit"). Viel bedeutsamer ist aber – worauf Kleine-Cosack völlig zu Recht hinweist[2] – das Verbot des Parteiverrats aus § 356 StGB. Kleine-Cosack geht sogar so weit zu behaupten, dass § 43a Abs. 4 BRAO "völlig überflüssig" sei.[3] Dem lässt sich wenig entgegenhalten: Einzig die Möglichkeit, den berufsrechtlichen Verstoß nach § 43a Abs. 4 BRAO auch fahrlässig zu begehen, während der Parteiverrat nach § 356 StGB Vorsatz erfordert, unterscheidet die Regelungsbedeutung.[4] Auch die Wiederholung in § 3 BORA erweitert oder begrenzt die Pflichten für den Rechtsanwalt nicht. Lediglich die Erstreckung auf die Sozietät geht über die Regelung des § 43a Abs. 4 BRAO hinaus und erweitert so die berufsrechtliche Möglichkeit eines Verstoßes, nicht hingegen die strafrechtliche.[5] Henssler hält die Normen der §§ 43a Abs. 4, 45 BRAO, § 3 BORA und § 356 StGB für "intransparent, inkohärent, lückenhaft und missverständlich".[6]

 

Rz. 5

Nach der Rechtsprechung des BVerfG dient das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen neben dem Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant, der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und dem Gemeinwohl in Gestalt der Rechtspflege,

Zitat

die auf eine Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen ist, also darauf, dass ein Anwalt nur einer Seite dient. All diese Belange treten nebeneinander und bedingen einander

(…) Als unabhängige Organe der Rechtspflege und als berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden haben Anwälte die Aufgabe, sachgerechte Konfliktlösungen herbeizuführen, vor Gericht zugunsten ihrer Mandanten den Kampf um das Recht zu führen und dabei zugleich staatliche Stellen möglichst vor Fehlentscheidungen zu Lasten ihrer Mandanten zu bewahren (vgl. BVerfGE 76, 171, 192). Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus. Diese Eigenschaften stehen nicht zur Disposition der Mandanten. Der Rechtsverkehr muss sich darauf verlassen können, dass der Pflichtenkanon des § 43a BRAO befolgt wird, damit die angestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger untereinander und gegenüber dem Staat gewahrt wird und die Rechtspflege funktionsfähig bleibt (vgl. BVerfGE 63, 266, 284; 93, 213, 236).[7]

 

Rz. 6

So vermeintlich klar und eindeutig die Entscheidung des BVerfG und der Gesetzeswortlaut[8] klingen mag, so schwierig ist es gleichwohl die Sachverhalte und deren Rechtsfolgen in der Praxis klar voneinander abzugrenzen. Die Diskussion über die Auslegung der Normen bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen den eben genannten Belangen des Mandanten und der Allgemeinheit einerseits und eines rechtswidrigen Eingriffes in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Rechtsanwalts...

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