Rz. 20

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nur dann in Betracht, wenn eine der bezeichneten Fristen auch tatsächlich versäumt wurde. Dabei ist zu beachten, dass der Fristablauf regelmäßig von anderen Rechtshandlungen, insbesondere einer wirksamen Zustellung abhängig ist. Die Frage des wirksamen Fristbeginns ist daher vor der Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags zu prüfen. In Zweifelsfällen kann die Klärung dieser Frage mit einem Hilfsantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden werden.

 

Rz. 21

Bevor der Rechtsanwalt einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt, muss er an erster Stelle prüfen, ob eine wirksame Zustellung erfolgt ist,[42] die die Frist überhaupt in Gang gesetzt hat. Soweit mehrere Rechtsanwälte beauftragt waren und an diese jeweils eine Zustellung vorgenommen wurde, ist die zeitlich erste Zustellung für den Fristbeginn maßgeblich.[43] Ist die zeitlich erste, nicht aber die zweite Zustellung unwirksam, so muss gleichwohl ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt werden, wenn die zweite Zustellung die Frist in Gang gesetzt hat und damit die beachtliche Frist bereits abgelaufen ist.

 

Rz. 22

 

Hinweis

Bestellt sich ein neuer Bevollmächtigter für eine Partei bei Gericht, so führt dies nicht dazu, dass nun alle Schriftstücke allein ihm zugestellt werden, da § 84 ZPO erlaubt, dass eine Partei gemeinschaftlich oder einzeln von mehreren Bevollmächtigten vertreten wird. Allein auf die Bestellungsanzeige hin, wird das Gericht also Zustellungen gegenüber beiden Bevollmächtigten bewirken.[44] Dies erhöht die Gefahr unterschiedlicher Zustellungszeitpunkte und damit von Fristversäumnissen. Dies kann nur dadurch verhindert werden, dass der neue Bevollmächtigte mitteilt, dass er an die Stelle des bisherigen Bevollmächtigten tritt und/oder der alte Bevollmächtigte dies zur Gerichtsakte mitteilt. Anderenfalls müssen die Bevollmächtigten sich ohne schuldhaftes Zögern von Zustellungen in Kenntnis setzen.[45]

 

Rz. 23

 

Praxistipp

Der Rechtsanwalt wird insbesondere zu prüfen haben, ob das in der Zustellungsurkunde dokumentierte Zustellungsverfahren ordnungsgemäß war, insbesondere eine Zustellung an den Adressaten selbst oder einen gesetzlich zugelassenen Empfänger vorgelegen hat. Nicht selten ist hier festzustellen, dass die Zustellungsurkunde hier nur unzureichende Angaben enthält. Auch wenn ein Zustellungsmangel nach § 189 ZPO geheilt sein könnte, tritt die Heilung regelmäßig erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem dokumentierten Zustellungszeitpunkt ein.

 

Rz. 24

 

Hinweis

Auch wenn die Zustellungsurkunde einen Nachweis der ordnungsgemäßen Zustellung erbringt, ist nach § 418 ZPO der Gegenbeweis möglich.[46] Allerdings werden an diesen strenge Anforderungen im Sinne des Vollbeweises[47] gestellt. Das Gericht muss dem Antragsteller allerdings auch Gelegenheit zum Beweisantritt geben.[48] Möglich ist auch der Gegenbeweis, dass das in einem Empfangsbekenntnis bekundete Datum der Kenntnisnahme unzutreffend ist.[49] Dabei ist beachtlich, dass der Rechtsanwalt nicht berechtigt ist, die Datierung des Empfangsbekenntnisses auf seine Mitarbeiter zu delegieren.[50] Hierin würde ein – die Wiedereinsetzung hinderndes – Verschulden zu sehen sein. Das Gericht ist grundsätzlich verpflichtet, allen Beweisangeboten nachzugehen.[51] Dabei muss jede Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass das im Empfangsbekenntnis genannte Datum richtig ist.[52]

Trägt das Empfangsbekenntnis kein Datum, ist die Zustellung gleichwohl wirksam.[53]

 

Rz. 25

Aus Sicht der anwaltlichen Fristenkontrolle bedarf die mit dem Zustellungsreformgesetz zum 1.7.2002 neu gefasste Heilungsvorschrift des § 189 ZPO besonderer Beachtung. Danach ist – anders als nach § 187 ZPO a.F. – nunmehr auch eine Heilung von Zustellungsmängeln bei einer Notfrist möglich.[54] Dies gilt allerdings nur dann, wenn das Gericht auch mit Zustellungswillen gehandelt hat.[55] Ist also ein Schriftstück formlos übersandt worden, bei dessen Zustellung eine Notfrist zu laufen beginnen würde, ist ausgehend vom Tag des tatsächlichen Zugangs dem Grundsatz des sichersten Weges folgend und aus anwaltlicher Fürsorge die Notfrist nebst Vorfrist zu notieren und das weitere Prozedere so zu betreiben, als sei eine tatsächliche Zustellung erfolgt.

 

Rz. 26

 

Praxistipp

Über diese Rechtslage ist das Büropersonal grundsätzlich zu belehren. Dabei soll die – schriftliche – Anweisung ergehen, den Lauf einer Notfrist unabhängig von der Frage einer wirksamen Zustellung beginnend mit dem tatsächlichen Zugang zu notieren. Der Rechtsanwalt sollte sich von seinem Büropersonal schriftlich bestätigen lassen, dass eine solche Belehrung erfolgt ist und dass und wann diese – regelmäßig – wiederholt wurde.

 

Rz. 27

Um Rechtsnachteile seines Mandanten zu vermeiden, sollte der Rechtsanwalt den wirksamen Fristbeginn und damit seine Säumnis bestreiten,[56] zugleich aber vorsorglich innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen.[57] Auf jeden Fall is...

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