Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt versäumt schuldhaft die Berufungsfrist, wenn er in seiner Kanzlei nicht sichergestellt hat, dass die Rechtsmittelfrist notiert wird.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, § 233

 

Verfahrensgang

LG Kaiserslautern (Urteil vom 06.05.2005; Aktenzeichen 4 O 1108/03)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Kaiserslautern vom 6.5.2005 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Anschlussberufung des Beklagten vom 15.9.2005 ist wirkungslos (§ 524 Abs. 4 ZPO).

III. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.148,55 EUR (Berufung: 8.228,92 EUR; Anschlussberufung 2.919,63 EUR) festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Berufung der Klägerin ist gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie entgegen § 517 ZPO nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat ab Zustellung des angefochtenen Urteils, d.h. bis zum 20.6.2005, sondern erst am 26.7.2005 (vgl. Bl. 146 d.A.) eingelegt worden ist.

Ausweislich des Empfangsbekenntnisses, Bl. 141 d.A., wurde das Urt. v. 6.5.2005 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20.5.2005 zugestellt.

II. Das Versäumnis der Frist zur Einlegung der Berufung wird nicht durch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 26.7.2005 geheilt (§ 233 ZPO). Diesem Antrag kann nicht stattgegeben werden, weil nach dem Vortrag der Klägerin davon auszugehen ist, dass sie die Frist zur Einlegung der Berufung wegen eines ihr zuzurechnenden Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten versäumt hat (§ 85 Abs. 2 ZPO).

1. Der Rechtsanwalt darf zwar gewisse einfache Verrichtungen, die keine besondere Geistesarbeit oder juristische Schulung verlangen, zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal übertragen.

Ein zurechenbares Eigenverschulden des Rechtsanwalts kann sich jedoch aus mangelhafter Büroorganisation ergeben (OLG Zweibrücken v. 4.7.2003 - 2 UF 2/03, MDR 2004, 419 [420] = OLGReport Zweibrücken 2003, 437), z.B. müssen für die Bearbeitung von Fristensachen geeignete, ausreichend informierte und kontrollierte Mitarbeiter eingesetzt werden (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 233 Rz. 23, Stichwort "Büropersonal und -organisation"; Kummer, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 2003, Rz. 331).

Der Bürobetrieb muss so organisiert werden, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (BGH v. 15.10.1992 - V ZB 32/92, VersR 1993, 1380).

Der Rechtsanwalt selbst muss zudem bei Rücksendung eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses neben dem Ablauf der Frist auch den Zustellungszeitpunkt auf dem Schriftstück oder in der Handakte notieren oder notieren lassen. Das Empfangsbekenntnis darf er grundsätzlich erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und die Notierung im Fristenkalender vermerkt ist; zumindest muss er sofort durch besondere Einzelanweisung die betreffende Eintragung veranlassen (so ausdrücklich BGH v. 13.2.2003 - V ZR 422/00, NJW 2003, 1528 [1529]; v. 26.3.1996 - VI ZB 1/96, VI ZB 2/96, MDR 1996, 747 = BRAK 1996, 172 = BRAK 1996, 220 = NJW 1996, 1900 [1901]; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 233 Rz. 23, Stichwort "Fristenbehandlung"; Kummer, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 2003, Rz. 478).

2. Vorliegend hat Rechtsanwalt Sch. am 20.5.2005 das Empfangsbekenntnis bezüglich der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils vom 6.5.2005 unterzeichnet und zurückgegeben, ohne zuvor die Notierung der Rechtsmittelfrist sichergestellt zu haben. Dabei lag ihm bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses entweder überhaupt keine Akte vor, oder er hat die Notierung der Rechtsmittelfrist in der Handakte nicht kontrolliert oder durch besondere Einzelanweisung deren Eintragung nicht veranlasst.

Weiterhin hat Rechtsanwalt Sch. nicht ausreichend dargetan, wie er die Überwachung seiner Angestellten H. bezüglich der selbständigen Fristennotierung sichergestellt hat und welche organisatorischen Maßnahmen er zur Vermeidung und Aufdeckung von Fehlern beim Vergessen der Eintragung einer Notfrist getroffen hat.

Dass ein solches Versehen in Form der Nichtnotierung der Berufungsfrist aufgetreten ist und dass es bis zum Ablauf der Berufungsfrist unbemerkt geblieben ist, ist vielmehr auf ein Organisationsverschulden im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen.

Im Wiedereinsetzungsgesuch wurde vorgetragen, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte H. angewiesen worden war, bei ca. 3.500 laufenden Akten (!) in der Abteilung Inkasso den Posteingang auf gesetzte Fristen (?) hin zu überprüfen und diese, ohne zuvor die Akten herauszusuchen, in der EDV und im zentralen Fristenbuch der Kanzlei einzutragen. Eine nochmalige Kontrolle der einzuhaltenden Fristen zur Aufdeckung von Fehlern bei der Fristkontrolle fand offensichtlich nicht statt. Fehlerquellen bei der Eintragung der Fristen im Fristenkalender, dem EDV-System oder in der Handakte wurden nicht im Rahmen des Möglichen ausgeschlossen, sonde...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge