Rz. 1

Das weite Feld der Vermögensnachfolge fordert heute zur Absicherung des Vermögens des Erblassers bis zum Erbfall eine über die erbrechtliche Beratung hinausgehende Beratung über die Möglichkeiten der privatrechtlichen Vorsorgeregelung. Noch bis in die Mitte der 80iger Jahre ereilte den Erblasser in aller Regel ein schneller Tod. Lange Phasen des Leidens und einer damit verbundenen Handlungsunfähigkeit waren eher die Ausnahme. Der Erblasser konnte somit meist selbst bis zuletzt sicherstellen, dass auf sein Vermögen nicht schon zu seinen Lebzeiten zugegriffen wurde und dass der seinen Erben zugedachte Nachlass bei seinem Tod noch vorhanden war. Seit aber die moderne Medizin in der Lage ist, den Erblasser über Monate oder gar Jahre in einem Zustand zwischen Leben und Tod zu halten, ist das Vermögen des handlungsunfähigen Erblassers, aber auch die Person des Erblassers selbst in dieser Lebensphase oft schutzlos Dritten ausgesetzt, insbesondere dann, wenn der Erblasser ohne Bedacht und ohne entsprechende Absicherung sog. Vorsorgevollmachten erteilt hat. Der Erbschleicher von heute bedient sich der Vorsorgevollmacht und braucht den Tod des Erblassers nicht mehr abzuwarten.

 

Praxishinweis

Der erbrechtliche Berater in der Vermögensnachfolgeregelung sollte daher immer die Möglichkeit einer dem Erbfall vorgelagerten und möglicherweise über Jahre andauernden Phase der Handlungsunfähigkeit des Erblassers bedenken und eine sachgerechte Absicherung des Vermögens des Erblassers dieser Lebensphase anbieten, damit die Vermögensnachfolgeplanung im Zeitpunkt der Handlungsunfähigkeit des Erblassers nicht von Dritten unterlaufen werden kann.

 

Rz. 2

Der Fachanwalt im Erbrecht wird sich diesem dem Erbrecht vorgelagerten Bereich der privatrechtlichen Vorsorgeregelung in Zukunft nicht weiter verschließen können, schon allein aufgrund der engen Verbindung zum Erbrecht und der immer größeren Nachfrage der Rechtsuchenden in diesem Bereich. Eine Spezialisierung des Fachanwalts für Erbrecht im Bereich der privatrechtlichen Vorsorgeregelung bietet zudem einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil im Kampf um erbrechtliche Mandate, da leider bisher nur immer noch zu wenige Rechtsanwälte in Deutschland in diesem Bereich eine sachgerechte Beratung anbieten. Wer sich als Vorsorgespezialist einen Namen macht, erhält über diesem Weg in aller Regel zusätzliche erbrechtliche Mandate, insb. zur Regelung der Vermögensnachfolge, aber auch lukrative Mandate zur Testamentsvollstreckung.

 

Rz. 3

Neben der reinen Gestaltung von Vorsorgeregelungen kann der Vorsorgespezialist seinen Mandanten im Bereich der privatrechtlichen Vorsorgeregelung als Berufsbevollmächtigter auch die Übernahme von privatrechtlichen Bevollmächtigungen oder Unterstützungs- und Kontrollbevollmächtigungen zur Vermeidung einer staatlichen Betreuung oder Kontrollbetreuung anbieten. Schon aufgrund des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (2. BtÄndG)[1] hatte sich hier für die Anwaltschaft ein interessanter Markt eröffnet, da rechtlich Betreute seit dem 1.7.2005 als Folge der Pauschalvergütung der Berufsbetreuer im Wesentlichen nur noch verwaltet und verwahrt werden. Dies wird sich durch die am 1.1.2023 in Kraft getretene Vormundschafts- und Betreuungsrechtsreform[2] noch verstärken, da die Tätigkeit als Berufsbetreuer aufgrund der nunmehr gestiegenen Anforderungen an Berufsbetreuer und der fast unveränderten Pauschalvergütung immer unattraktiver wird. Die Folge davon wird sein, dass die Betreuungsgerichte kaum noch geeignete Berufsbetreuer finden. Der Bevölkerung wird damit mehr und mehr schmerzlich bewusst werden, dass es nun auch im Betreuungsrecht ein Zweiklassensystem gibt, nämlich für Menschen, die aufgrund ihrer Handlungsunfähigkeit vom Staat unter eine pauschal abgerechnete rechtliche Betreuung gestellt werden, und für Menschen, die für diesen Fall durch die Bevollmächtigung einer geeigneten privaten Vertrauensperson oder eines darauf spezialisierten Anwalts eine entsprechende privatrechtliche Vorsorge getroffen haben.

 

Rz. 4

Eine umfassende Vorsorgeregelung für den Erblasser beinhaltet eine Vorsorgevollmacht, also eine privatrechtliche Bevollmächtigung einer Vertrauensperson oder – besser – mehrerer Vertrauenspersonen für den Fall der Entscheidungs- bzw. Handlungsunfähigkeit des Erblassers und dieser Vollmacht zugrunde liegende vertragliche Regelungen des Innenverhältnisses zwischen dem Vollmachtgeber und Bevollmächtigten einerseits und dem Unterstützungs- und Kontrollbevollmächtigten andererseits, sowie eine Patientenverfügung für den Erblasser.

[1] Zweites Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 21.4.2005 (BGBl I, 1073).
[2] Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021, BGBl I, 882. Vertiefend zum Thema siehe Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, 2023.

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