Rz. 1131

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat generell keine Auswirkungen auf das kollektive Arbeitsrecht, soweit der Gesetzgeber in den Vorschriften §§ 113, 120122 und 125128 InsO nichts anderes geregelt hat.

1. Beteiligungsrechte des Betriebsrates

 

Rz. 1132

Die Beteiligungsrechte der Betriebsverfassungsorgane, insbesondere des Betriebsrates bleiben im Insolvenzverfahren bestehen. Die Insolvenzeröffnung hat rechtlich keinen Einfluss auf die Amtszeit des Betriebsrates, da die nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergehende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten umfasst.[2757] Es gilt beispielsweise die Anhörungspflicht des Betriebsrates zur beabsichtigten Kündigung nach § 102 BetrVG, nicht jedoch vor einer Freistellung,[2758] sowie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Betriebsänderungen, insbesondere einer (Teil-)Betriebsstilllegung, nach §§ 111 ff. BetrVG.

 

Rz. 1133

Wurde in dem Betrieb noch kein Betriebsrat gebildet, wird bei drohender Insolvenz des Arbeitgebers häufig erstmals eine Betriebsratswahl initiiert, insbesondere um Sozialplanleistungen zu verhandeln. Wird der Betriebsrat jedoch erst nach dem Betriebsänderungs- oder Stilllegungsbeschluss gewählt, kann dieser den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans nicht mehr verlangen.[2759] Die Pflichten des Insolvenzverwalters, die Betriebsänderung mit dem Betriebsrat zu beraten und einen Interessenausgleich abzuschließen, bestehen auch dann, wenn dieser erst nach der Insolvenzeröffnung gewählt wurde.[2760]

 

Praxistipp

Besteht in einem Betrieb kein Betriebsrat, so muss dieser vor dem Betriebsänderungs-/Stilllegungsbeschluss gewählt werden, um mit dem Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich und Sozialplan wegen Abfindungszahlungen verhandeln zu können.

[2757] Fitting u.a., § 21 BetrVG Rn 36; ErfK/Koch, § 21 BetrVG Rn 5.
[2758] BAG 22.1.1998 – 2 AZR 267/97, ZInsO 1998, 190. Selbst bei Aufnahme des zu kündigenden Arbeitnehmers in eine Namensliste gemäß § 125 InsO bleibt die Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG bestehen (BAG 23.10.2008 – 2 AZR 163/07, BB 2009, 1758).
[2759] BAG 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, AP Nr. 63 zu § 112 BetrVG = NZA 1993, 420; a.A. ArbG Reutlingen 29.10.1998 – 3 (1) BV 7/98, ZInsO 1999, 303 (LS).
[2760] BAG 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235 = NZA 2004, 220; ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rn 10.

2. Interessenausgleich in der Insolvenz

 

Rz. 1134

Generell besteht im Insolvenzverfahren die Pflicht des Insolvenzverwalters, bei einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG[2761] einen Interessenausgleich zu versuchen. Andernfalls kann der von einer Betriebsänderung betroffene Arbeitnehmer gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG Ansprüche auf Nachteilsausgleich[2762] geltend machen, sobald der Insolvenzverwalter mit der geplanten Betriebsänderung beginnt.[2763]

 

Rz. 1135

Um aber die Sanierungsbemühungen des Insolvenzverwalters bzw. eine beabsichtigte Betriebsveräußerung auf einen Erwerber wegen Unklarheiten der Arbeitsverhältnisse nicht zu verzögern, wird das Verfahren durch die Regelungen der §§ 121, 122 InsO beschleunigt. Nach § 121 InsO findet ein Vermittlungsversuch nur dann statt, wenn der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat gemeinsam darum ersuchen. Erscheint dem Insolvenzverwalter auch die Anrufung der Einigungsstelle zu langwierig, kann er mit arbeitsgerichtlicher Zustimmung von der Verpflichtung befreit werden, einen Interessenausgleich nach § 112 Abs. 2 BetrVG zu versuchen (§ 122 Abs. 1 InsO). Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung nach § 122 Abs. 2 InsO zu erteilen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens dies auch unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerbelange erfordert.[2764]

[2761] Ein Betriebsübergang nach § 613a BGB ist keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG. Die Identität des Betriebes bleibt gewahrt; es findet lediglich ein Betriebsinhaberwechsel statt. Vgl. BAG 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, 570.
[2762] Bereits die unwiderrufliche Freistellung aller Arbeitnehmer durch den Insolvenzverwalter kann als faktische Betriebsstilllegung als Beginn einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG gewertet werden mit der Folge, dass ohne vorherigen Abschluss eines Interessenausgleiches den Arbeitnehmern Nachteilsausgleichsansprüche zustehen (LAG Berlin-Brandenburg 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429 (LS)).
[2763] Hinsichtlich der Höhe des Nachteilsausgleichs verweist § 113 Abs. 1 BetrVG auf § 10 KSchG. Vgl. zur objektiven Pflichtverletzung BAG 23.9.2003 – 1 AZR 576/02, NZA 2004, 440 = ZIP 2004, 627; dazu Anm. Lunk, ArbRB 2004, 104.
[2764] Gegen den Beschluss ist keine Beschwerde beim Landesarbeitsgericht, sondern nur die Rechtsbeschwerde beim BAG möglich, wenn diese durch das Arbeitsgericht zugelassen ist (§ 122 Abs. 3 InsO).

3. Namensliste nach § 125 InsO

 

Rz. 1136

Nach § 125 Abs. 1 InsO[2765] können der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat einen Interessenausgleich vereinbaren, der die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet.[2766] Dies gilt auch für Änderungskündigungen. Die Gestaltungsmöglichkeiten bei einem Interessenausgleich mit N...

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