Rz. 1100

Ist im Insolvenzverfahren eine Beschäftigung eines Arbeitnehmers nicht mehr möglich, kann der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer von der Verpflichtung zur tatsächlichen Arbeitsleistung freistellen.[2677] Er hat dabei die Grenzen des billigen Ermessens nach § 315 BGB zu beachten.[2678] Nach Anzeige der Mas­seunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO muss der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer bei fehlendem ­Beschäftigungsbedarf von der Arbeitspflicht freistellen und gleichzeitig das Arbeitsverhältnis zum frühestmöglichen Termin beenden.[2679] Auch der starke vorläufige Insolvenzverwalter kann bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren die Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freistellen. Bei der Freistellung nach Insolvenzeröffnung stellen die Ansprüche des Arbeitnehmers als sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine nachrangige Masseforderung dar.[2680] Unterlässt der Insolvenzverwalter die schnellstmögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, stellen die Gehaltsansprüche des freigestellten Arbeitnehmers Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO dar.[2681] Ist der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt, muss er sich nach § 615 BGB dasjenige anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Nach § 157 Abs. 3 SGB III kann der freigestellte Arbeitnehmer Arbeitslosengeld als sog. Gleichwohlgewährung beziehen. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt geht dann gemäß § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit über. Bei Stilllegung des Betriebes hat der Betriebsrat wegen der Freistellung der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 5 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht.[2682] Auch stellt der Entzug der Arbeitsaufgaben durch Freistellung keine Versetzung i.S.v. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG dar.[2683]

 

Rz. 1101

Stellt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer unwiderruflich unter Anrechnung etwaiger Urlaubsansprüche frei, behält dieser in der Urlaubszeit seinen arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch. Der Vergütungsanspruch stellt eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar. Demgegenüber ist der Vergütungsanspruch nur eine nachrangige Masseverbindlichkeit i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wenn der Arbeitnehmer vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung freigestellt wurde.[2684]

[2677] Vgl. ausführlich Wroblewski, NJW 2011, 347.
[2678] LAG Nürnberg 30.8.2005 – 6 Sa 273/05, ZIP 2006, 256 (LS); zum Vergütungsanspruch BAG 23.1.2008 – 5 AZR 393/07, NZA 2008, 595; Zwanziger, § 108 InsO Rn 7; Arens/Brand, § 1 Rn 263 ff.
[2679] Dabei ist auf die objektive Lage abzustellen (vgl. BAG 22.2.2018 – 6 AZR 868/16, NZA 2018, 666).
[2680] Gelingt es dem Arbeitnehmer, den Beschäftigungsanspruch während der laufenden Kündigungsfrist gerichtlich durchzusetzen, sind seine Ansprüche wieder Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO.
[2681] Nur wenn der Insolvenzverwalter die Grundlage für die Verbindlichkeit schafft, durch eine Handlung oder auch durch ein Unterlassen, begründet er eine Neumasseverbindlichkeit; BAG 6.9.2018 – 6 AZR 367/17, NZA 2019, 172; BAG 14.3.2019 – 6 AZR 4/18, NZA 2019, 567; BAG 22.2.2018 – 6 AZR 868/16, NZA 2018, 666; BAG 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, ZIP 2004, 1323; dazu Anm. Bork, EWiR 2004, 815.
[2683] BAG 28.3.2000 – 1 ABR 17/99, AP Nr. 39 zu § 95 BetrVG 1972 = NZA 2000, 1355.
[2684] Auf die Ursache der Nichtbeschäftigung kommt es nicht an, vgl. LAG Hessen 19.2.2004 – 11 Sa 534/03, n.v.

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