Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung Altmasseverbindlichkeiten. Neumasse verbindlichkeiten im Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Massegläubiger hat ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO, wenn er gerichtlich feststellen lassen will, dass eine bestimmte Forderung gegen den Insolvenzverwalter eine Neumasseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. l Nr. 2 InsO ist.

2. Bei der Bewertung von Forderungen des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis kommt es im Hinblick auf § 209 Abs. l Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit tatsächlich gearbeitet hat. Auch das für Zeiten der Nichtbeschäftigung wegen Urlaubsgewährung oder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zu zahlende Entgelt kann eine Neumasseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. l Nr. 2 InsO sein.

3. Dies gilt auch dann, wenn von dem Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit überhaupt keine tatsächliche Arbeitsleistung zu Gunsten der Masse erbracht worden ist.Verkündet

 

Normenkette

InsO § 209; ZPO § 256

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.06.2004; Aktenzeichen 9 AZR 431/03)

Thüringer LAG (Urteil vom 16.06.2003; Aktenzeichen 8 Sa 43/03)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der dem Kläger gegen den Beklagten zustehende

Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgeldes in Höhe von EUR 314.49 brutto eine Masseverbindlichkeit gem. § 209 Abs. l Nr. 2 InsO (Neumasseverbindlichkeit) ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf EUR 314,19 festgesetzt.

4. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten letztlich noch um die Zuordnung einer Verbindlichkeit des Beklagten zur Altmasseschuld oder Neumasseschuld im Sinne von § 209 Abs. 1 InsO.

Der Beklagte ist durch Beschluß des AG Mühlhausen vom 1.11.2000 als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa. E. GmbH (im folgenden: Gemeinschuldnerin) eingesetzt worden.

Der Kläger war bei der Gemeinschuldnerin seit dem 01.01.1992 als Konstrukteur tätig. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund betriebsbedingter Kündigung des Insolvenzverwalters vom 28.03.2001 am 30.06.2001.

Nachdem zahlreiche Zahlungs-, Feststellungs- und sonstige Ansprüche des Klägers während des Rechtsstreits erledigt worden sind, liegt dem noch streitigen Teil folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Kündigungsschreiben vom 28.03.2001 stellte der Beklagte den Kläger, dem zu diesem Zeitpunkt noch ein Resturlaubsanspruch von 14 Arbeitstagen zustand, unter Anrechnung dieses Resturlaubs von der Arbeitsleistung frei. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass für jeden genommenen Urlaubstag aufgrund des Arbeitsvertrages ein Urlaubsgeld von DM 153,77 zu zahlen ist sowie davon, dass der im Kündigungsschreiben vom 28.03.2002 gewährte Urlaub im Umfang von 10 Arbeitstagen bis einschl. 11.04.2001 und im Umfang von 4 Arbeitstagen nach dem 11.04.2001 angefallen ist. Am 11.04.2001 zeigte der Beklagte gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem ihm – unstreitig – zustehenden Anspruch auf Zahlung von EUR 314,49 brutto für die vier Urlaubstage im Zeitraum nach dem 11.04.2001 um eine Neumasseschuld handelt.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Forderung auf Zahlung von Urlaubsgeld in Höhe von EUR 319,49 brutto als Masseverbindlichkeit gem. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO anzusehen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält hier eine Altmasseverbindlichkeit für gegeben, weil der Kläger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht zugunsten der Masse Arbeit geleistet habe.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klage ist zulässig.

Dem Kläger steht ein Feststellungsinteresse gem. § 256 ZPO zur Seite. Über die Frage, ob es sich bei dem Anspruch auf Zahlung von Urlaubsgeld für die nach Masseunzulänglichkeit gewährten Urlaubstage um eine Alt- oder Neumasseverbindlichkeit handelt, besteht zwischen den Parteien Streit. Mit der begehrten Feststellung kann diesem Streit der Boden entzogen werden und für die Parteien verbindlich festgestellt werden, nach welchen Regeln sich die Begleichung der Verbindlichkeit richtet.

Diese Entscheidung entfaltet auch eine Bedeutung für die Rangfolge, nach der der Insolvenzverwalter die Forderungen gegenüber der Masse zu begleichen hat. Denn die Neumasseverbindlichkeiten sind gegenüber den sog. Altmasseverbindlichkeiten vorrangig zu erfüllen, § 209 Abs. 1 InsO.

Der Kläger ist auch nicht zwingend darauf zu verweisen, eine – ansonsten vorrangige – Leistungsklage zu erheben. Denn der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage beruht auf Überlegungen der Prozessökonomie und soll einen zweiten Prozeß, in dem es um die Verurteilung zur Leistung geht, vermeiden. Nach einhelliger Rechtsprechung ist aber dann eine Feststellungsklage zulässig, wenn von dem Beklagten mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass er die aus dem festgestellten Rechtsverhältnis sich ergebende Verbindlichkeit ohne weitere...

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