Rz. 112

§ 87 BetrVG regelt die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten.[335] Die in § 87 Abs. 1 Nr. 1–13 BetrVG aufgeführten Tatbestände stellen einen abschließenden Katalog der Regelungsbereiche in sozialen Angelegenheiten dar, in denen die einseitige Anordnung des Arbeitgebers durch eine Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ersetzt wird.[336] Daneben gibt es noch die Möglichkeit einer freiwilligen Betriebsvereinbarung in den sozialen Angelegenheiten des § 88 BetrVG. Zweck ist, den Arbeitnehmer im Hinblick auf einseitige Weisungen des Arbeitgebers im Wege des Direktionsrechts durch Mitwirkung des Betriebsrats zu schützen – Zweck ist also der Schutz der Arbeitnehmer.[337] Entsprechend endet das Mitbestimmungsrecht dort, wo der Arbeitgeber bereits durch eine abschließende gesetzliche oder tarifliche Regelung gebunden ist, also auch selbst keinen Regelungsspielraum mehr hat.[338] Eine Einschränkung der Mitbestimmungsrechte durch Betriebsvereinbarung ist nicht möglich.[339]

 

Rz. 113

Zentrales Mittel zur Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG ist die Betriebsvereinbarung.[340] Diese wirkt – wie ein Gesetz – unmittelbar und zwingend, § 77 Abs. 4 BetrVG. Entsprechend sind Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen.[341] Es kommt also auf den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck gelangten Willen der Betriebspartner an.[342] Darüber hinaus ist der Zweck der Regelung, der Gesamtzusammenhang und die Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen. Maßgeblich ist insofern auch, wie eine entsprechende Regelung im Betrieb bereits tatsächlich gelebt wurde.[343] Es gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem vernünftigen und praktikablen Ergebnis führt.[344]

Der schuldrechtliche Teil der Betriebsvereinbarung ist dagegen nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB auszulegen.[345]

 

Rz. 114

 

Hinweis

Die Beachtung der Mitbestimmungsrechte setzt nicht zwingend den Abschluss einer Betriebsvereinbarung voraus. Es genügt auch eine formlose (auch mündliche) Einigung der Betriebsparteien.[346] Im Streitfall führt diese allerdings zu Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten.

Stets erforderlich zur Wahrung der Beteiligungsrechte ist ein hierauf bezogener wirksamer Beschluss des Betriebsratsgremiums.[347] (Zur Form der Ausübung der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten siehe Rdn 178 ff.).

[335] Richardi/Richardi, § 87 BetrVG Rn 1–3; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn 1–3.
[336] GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn 4, 5.
[337] GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn 95–97; Fitting u.a., § 87 BetrVG Rn 2. Zusätzlich auf eine Integrationsfunktion abstellend Richardi/Richardi, § 87 BetrVG Rn 8; Emmert, S. 49 ff.
[338] GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn 69.
[339] GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn 8.
[340] GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn 234.
[341] BAG 14.3.2012 – 7 AZR 147/11, AP Nr. 60 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung; NZA 2012, 1183; NJOZ 2012, 1782; hinsichtlich der Auslegung von Tarifverträgen: BAG 12.9.1984 – 4 AZR 336/82, NZA 1985, 160.
[343] GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rn 69.
[345] ErfK/Kania, § 77 Rn 30.
[346] BAG 24.4.2001 – 1 AZR 583/00, EzA Nr. 71 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung sowie NZA 2002, 55 (LS); Fitting u.a., § 87 BetrVG Rn 579.
[347] Fitting u.a., § 87 BetrVG Rn 2; BAG 9.12.2014 – 1 ABR 19/13, NZA 2015, 368.

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