Rz. 14

Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit i.S.d. § 2221 BGB hat die Rechtsprechung seit jeher auf Tabellen zurückgegriffen.[28] Von ihrer Rechtsnatur her handelt es sich bei diesen Tabellen nicht um Regelungen, die mit irgendeiner Rechtskraft ausgestattet wären oder auch nur gesetzesnahe Regelungskraft entfalten würden.[29] Sie müssen daher von den Gerichten im Vergütungsrechtsstreit nicht anerkannt werden. Dementsprechend empfiehlt es sich, von der Begrifflichkeit her besser von "Vergütungsempfehlungen" zu sprechen.[30] Da es keine amtliche Tabelle im Sinne einer Gebührenordnung gibt, haben sich in der Praxis unterschiedliche Tabellen entwickelt. Tatsächlich haben sich aber die Vergütungsempfehlungen des Deutschen Notarvereins, teilweise auch bezeichnet als "Neue[31] Rheinische Tabelle", in der Praxis als herrschend durchgesetzt (siehe sogleich Rdn 22).

[28] Siehe § 3 und § 11 zum AGT-Projekt für eine zeitgemäße angemessene Testamentsvollstreckervergütung.
[29] Man mag sie "soft-law" nennen. Siehe zu“ soft-law“ Schiffer, Stiftungsbrief 2018, 87 ff.
[30] Rott/Kornau/Zimmermann, Praxishandbuch Testamentsvollstreckung, § 14 Rn 48.
[31] Wie wichtig der Zusatz "Neue" ist, zeigt die Entscheidung OLG München, Beschl. v. 21.6.2021 – 33 U 1651/21, BeckRS 2021, 39733, da auch bei einem im Jahr 2017 errichteten privatschriftlichen Zusatz zu einem notariellen Testament aus dem Jahr 2016, wenn man der Entscheidung des OLG folgt, durchaus die Gefahr besteht, dass die Rechtsprechung ansonsten den Erblasserwillen dahingehend interpretiert, dass die "Alte" Rheinische Tabelle für das Notariat in Rheinpreußen aus dem Jahr 1925 gemeint gewesen sei. Siehe kritisch zu dieser Entscheidung § 5 Rdn 2 aE. sowie Rott, ErbR 2022, 270 und Schiffer, AnwZertErbR 3/2022, Anm. 1.

1. Grundvergütung

 

Rz. 15

Den verschiedenen Tabellen ist der Ansatz gemein, zunächst durch einen Prozentsatz, der sich auf den Nachlasswert als Bezugsgröße bezieht, eine Grundvergütung zu bestimmen. Sodann werden durch ggf. hinzutretende Zuschläge, die sich auf die Grundvergütung als Bezugsgröße beziehen, besondere Schwierigkeiten der Tätigkeit zusätzlich vergütet. Die Einzelheiten hierzu, aber auch bereits die Höhe des Grundbetrages, sind je nach Vergütungsempfehlungen unterschiedlich (vgl. hierzu die nachfolgende Darstellung in § 3 Rdn 21 ff.).

 

Rz. 16

Die Rechtsprechung weist immer wieder darauf hin, dass sich jede schematische Anwendung einer Tabelle verbietet und es immer Aufgabe des konkret zur Entscheidungsfindung berufenen Richters sei, die Angemessenheit der Vergütung im konkreten Einzelfall zu ermitteln.[32] Die darin liegende, sich möglicherweise über Jahre oder gar Jahrzehnte hinziehende Unsicherheit, dass keiner der Beteiligten (Erblasser/Testamentsvollstrecker/Erbe) letztendlich weiß, wie hoch die angemessene Vergütung wirklich ist, wird augenscheinlich zugunsten der Einzelfallgerechtigkeit in Kauf genommen. Wirklich überzeugend ist dieser Gedankengang allerdings nicht. Insbesondere die Erwägung, eine solche Bemessung der Testamentsvollstreckervergütung sei "im Grundsatz der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden förderlich",[33] findet in der Praxis des Vergütungsstreits keine, und schon gar keine empirisch gesicherte, Grundlage.[34] Tatsächlich läuft die richterliche Angemessenheitsbestimmung viel zu häufig auf eine Beweislastentscheidung hinaus.

 

Praxishinweis

Um den Erben und etwa auch einem befassten Gericht gegenüber ggf. noch nach Jahren einen substantiierten Sachvortrag zum Umfang der Tätigkeit als Testamentsvollstrecker liefern zu können (siehe auch Rdn 11), empfiehlt es sich für jeden Testamentsvollstrecker, unabhängig von der Frage, ob eine Vergütung nach Zeitaufwand in Betracht kommt oder eine tabellenmäßig ermittelte Vergütung, eine aussagekräftige Zeiterfassung[35] der Tätigkeiten zu führen. Wer dies erstmalig tut, wird i.d.R. nach Abschluss einer Testamentsvollstreckung erstaunt sein, wie viel Zeitaufwand die Abwicklung erfordert hat und wie viele kleine und kleinste Einzelvorgänge geregelt wurden.

 

Rz. 17

Die gängigen Vergütungsempfehlungen gehen davon aus, dass Ausgangspunkt für die Ermittlung der Vergütung ein Vomhundertsatz des Bruttonachlasswerts ist, also der Summe der Nachlassaktiva. Dabei ist vom Verkehrswert auszugehen. Schon dieser Ansatz ist keineswegs "der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden förderlich."

Selbst die Frage, ob bei der Berechnung der Testamentsvollstreckervergütung der Pflichtteilsanspruch vom Brutto-Nachlasswert abzuziehen ist, hat in der Praxis zu Unsicherheiten geführt.

Mit Muscheler ist festzuhalten, dass die Berechnung der Testamentsvollstreckervergütung, ausgehend vom Brutto-Nachlasswert ohne Abzug der Verbindlichkeiten aus Pflichtteil, auszugehen ist.[36]

Muscheler ist mit Blick auf den betreffenden Aufwand auch zu folgen, wenn er betont, sehr oft dürfte für die Berechnung und Erfüllung der Pflichtteilsschuld sogar ein Zuschlag zur Grundvergütung angemessen im Sinne von § 2221 BGB sein.[37]

 

Rz. 18

Die ...

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